
Steffi Geistert sitzt mir mit einem freundlichen und liebenswerten Lächeln gegenüber, so dass kaum zu erahnen ist, was sie in den vergangenen Monaten durchgemacht hat. Wenn sie spricht, strahlt sie Zuversicht aus. Ihre Stimme klingt sanft, bestimmt und voller Wärme. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Kinder im Kindergarten Tausendfuß Frau Geistert sehr mögen. Dort arbeitet die 51-Jährige als Erzieherin. Sie kann nicht verbergen, dass sie am liebsten so schnell wie möglich wieder bei „ihren Kindern“ sein möchte. Doch bis Februar 2021 soll sie sich noch gedulden. Ihr Körper braucht Zeit, um sich von der Operation, der Chemo- und der Strahlentherapie zu erholen.
Frau Geistert, es war ein hartes Jahr für Sie. Wie geht es Ihnen heute?
Gut. Wir konnten Anfang Oktober eine Woche Urlaub genießen. Das war eine schöne Auszeit. Ich fühle mich den Umständen entsprechend fit und kann es kaum erwarten, wieder zu arbeiten. Ich vermisse die Kinder meines Kindergartens unglaublich. Aber ich höre auf den Rat der Ärzte und Therapeuten, mich noch zu schonen.
Haben Sie während Sie krank waren, Kontakt zu den Knirpsen gehalten?
Natürlich, so gut es ging. Ich habe für sie gebastelt und auch sie haben mir liebevolle kleine Aufmerksamkeiten geschickt. Zudem halten mich meine Kolleginnen auf dem Laufenden und unterstützen mich. Dafür bin ich sehr dankbar. Der Kontakt zu meiner Arbeit hat mir ein kleines Stück Normalität in den vergangenen Monaten bewahrt.
Wie haben Sie erfahren, dass Sie Brustkrebs haben?
Ich habe an dem Mammographiescreeningprogramm teilgenommen. Für mich war das damals eine Routinevorsorge. Nie im Leben habe ich gedacht, dass man etwas findet. Bis der Brief kam, dass eine Auffälligkeit entdeckt wurde, die abgeklärt werden muss.
Was denkt man in so einem Moment?
„Das kann nicht sein!“ Im Hinterkopf habe ich zwar immer irgendwie gewusst, es wird sicherlich so sein, aber die Hoffnung, dass es vielleicht doch ein Irrtum oder wenigstens gutartig ist, war immer da. Es ist ein furchtbares Gefühl zwischen Hoffen und Warten.
Wie ging es dann weiter?
Es wurde erneut eine Mammografie durchgeführt sowie ein Ultraschall und eine Biopsie. Bis zum endgültigen Ergebnis musste ich eine Woche warten. Diese Woche voll Bangen war einfach nur schrecklich. Dann bekam ich den Anruf, dass die Auffälligkeit behandlungsbedürftig ist. Am nächsten Morgen hatte ich sofort einen Termin bei meiner Frauenärztin. Ich sehe mich jetzt noch an ihrem Schreibtisch sitzen.
Als sie Ihnen die Diagnose mitteilte?
Ja. Ich hatte ja immer noch gehofft, dass sich der Befund als nicht schlimm herausstellt. Doch dort, in diesem Zimmer war dann klar, es ist schlimm.
Sie haben den Knoten nicht gespürt. Der Tumor schmerzt ja nicht.
Stimmt, aber ab dem Moment, wo ich wusste, dass er da war und auch wo genau er sitzt, habe ich ihn gespürt. Ich wollte diesen Fremdkörper nur noch loswerden. Ich bekam eine Überweisung ins Mammazentrum am Klinikum. Dr. Niestroj, Oberärztin der Klinik für Plastische, rekonstruktive und Brustchirurgie zeigte mir verschiedene Therapiemöglichkeiten auf. Sie sagte, dass es möglich ist, den Tumor brusterhaltend zu operieren. Eine Chemotherapie im Vorfeld wollte ich nicht. Es war klar, dass der Tumor raus muss und ich entschied sofort, dass ich ihn weg haben wollte. Von der Diagnose bis zur OP vergingen insgesamt nur 14 Tage. In dieser Zeit habe ich nur funktioniert.
Wie hat Ihre Familie das alles aufgenommen?
Sie hat mich sehr unterstützt. Vor allem mein Mann hat mir wahnsinnig doll geholfen. So eine Diagnose trifft ja alle. Ich habe darum gebeten, so normal wie möglich mit mir und der Situation umzugehen. Ich hatte fast jeden Tag einen Termin, zum Nachdenken bin ich nicht großartig gekommen. Am 17. Oktober wurde ich operiert. Als ich aus der Narkose aufwachte war ich so erleichtert, dass das „Ding“ raus war und ich den ersten Schritt überstanden habe – so machte ich innerlich auch gleich einen Haken daran.
Wussten Sie, wie es dann weiter geht?
Spätestens nach dem Befund aus der Pathologie. Bei meinem Tumor war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich ohne Chemotherapie erneut erkranke. Ich hatte sehr gehofft, um die Chemo herum zu kommen. Man hört so viel von den Nebenwirkungen. Doch die Chemotherapie verringerte bei meinem Tumor das Risiko entscheidend, erneut zu erkranken – also sperrte ich mich nicht dagegen. Außerdem haben mich die Ärzte darüber aufgeklärt, dass es bei verschiedenen Nebenwirkungen wie Übelkeit, Behandlungsmöglichkeiten bzw. Medikamente gibt. Das beruhigte mich. Ich habe dem „Mammateam“ voll vertraut – ich hatte ja auch keine andere Chance.
Und hatten Sie starke Nebenwirkungen?
Naja, dass die Haare ausfallen, stand vorher fest, aber das war für mich nicht das Schlimmste. Meine erste Chemo bekam ich am 26.11.2019 in der Frauenklinik. Die Infusionen dauerten von 8 bis ca. 14 Uhr. Ich bekam die ersten vier Einheiten aller 3 Wochen. Die Zeit dazwischen brauchte ich auch, um mich zu erholen. Meine Leukozyten stürzten in den Keller, so dass ich unheimlich erschöpft war und mein Immunsystem fast zusammenbrach. Ich bekam eine Gürtelrose, mir war übel, ich schmeckte nichts mehr, meine Schleimhäute waren angegriffen. Die Chemo griff die Nerven in Händen und Füßen an, was ich bis heute spüre.
Wie haben Sie sich motiviert, das durchzuhalten?
Ich wusste, wie wichtig es ist und das hat mir Kraft gegeben. Ich bin ein optimistischer Mensch. Natürlich hat es mich jedes Mal zermürbt, bevor ich die nächste Infusion bekam. Aber ich machte mir einen Plan, was ich am Tag machen möchte, um mich abzulenken und um durchzuhalten. Ich zwang mich zum Beispiel, jeden Tag rauszugehen und ich habe mir auch mentale Hilfe gesucht.
Sie waren in der Tagesklinik ja auch mit anderen Patientinnen zusammen.
Das hat mir sehr geholfen. Mit anderen Betroffenen zu sprechen, habe ich als wertvolle Unterstützung erfahren. Es beruhigt zu wissen, nicht allein zu sein.
Im Sommer 2020 bekamen Sie dann Ihre letzte Chemo.
Ja, am 2. Juni. Auch da habe ich innerlich wieder einen Haken dran gemacht. Zwei Wochen später begann die Bestrahlung. 28 Tage. In der Praxis für Strahlentherapie, Dr. Philipp, am Klinikum. Im Vergleich zur Chemotherapie war es erträglicher, wenn auch gegen Ende sehr, sehr anstrengend. Die Strahlen spürt man nicht, aber die Haut wird stark geschädigt.
Und nach 28 Tagen – wieder ein Haken?
(lächelt) Genau! Das mag komisch klingen, aber mit jedem Haken ging es für mich aufwärts. Vorwärts. Ich hatte immer das Gefühl, ich muss doch auch selbst etwas tun. Bei der Anschlussheilbehandlung, die Mitte August in Bad Elster begann, war mir das dann sogar körperlich möglich. Es war sehr anstrengend, ich war jeden Tag nach den Therapien total geschafft – aber zufrieden.
Jetzt können Sie es kaum erwarten, wieder zu arbeiten und bei Ihren Kindern zu sein.
„Meine Kinder“ kommen nächstes Jahr zur Schule, es ist die „große Gruppe“ und ich habe wirklich Sehnsucht danach, sie auf diesen letzten Metern im Kindergarten zu betreuen und zu begleiten. Ich bin sehr froh, dass das möglich sein wird. Meine Kolleginnen und vor allem meine Chefin haben mir viel Druck genommen, obwohl sie durch meine Erkrankung auch viel kompensieren müssen.
War Brustkrebs in Ihrer Familie und Ihrem Freundeskreis vor Ihrer Erkrankung ein Thema?
Nein, gar nicht. Es gab in meinem nahen Umfeld keine Betroffene. Als es um die Vorsorgeuntersuchung ging, gab es durchaus Diskussionen. Die einen fanden es wichtig, andere eher überhaupt nicht.
Wie gehen sie alle jetzt damit um?
Meine Erkrankung und das frühzeitige Entdecken des Tumors haben dazu geführt, dass doch mehrere die Vorsorge in Anspruch nehmen. Darüber bin ich froh und ich rate es auch jedem. Denn je eher, desto besser. Ich habe mich im Mammazentrum am Klinikum absolut großartig aufgehoben gefühlt. Alles, was ich als Patientin brauchte, war hier vor Ort. Ich musste für die Behandlungen nie weit weg fahren und konnte immer in der Nähe meiner Familie sein. Brustkrebs ist eine schreckliche Diagnose. Wenn ich zusätzlich zu diesem seelischen und körperlichen Stress auch hätte ständig weiter weg fahren müssen, um behandelt zu werden, hätte das uns alle noch viel mehr belastet. Ich hatte von Anfang an Vertrauen in die Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten. Mir ist ein Satz von Chefarzt Dr. Nadler sehr im Gedächtnis hängen geblieben. Nach der Chemotherapie sagte er zu mir: „Leben Sie einfach!“ Und das mache ich jetzt.
Die rosa Schleife bringt die Solidarität mit den von Brustrebs betroffenen zum Ausdruck. Der Oktober ist der weltweite #Brustkrebsmonat.