Multimedikation – Zu viele Tabletten im Alter?

Multimedikation im Alter ist ein zunehmend wichtiges Thema in der Gesundheitsversorgung älterer Menschen. Mit dem Alter steigt die Anfälligkeit für Krankheiten, und viele ältere Menschen nehmen regelmäßig Medikamente ein, um verschiedene gesundheitliche Herausforderungen zu bewältigen. Doch sind sie auch anfälliger für unerwünschte Nebenwirkungen zudem müssen Wechselwirkungen zwischen Medikamenten berücksichtigt werden. Der erfahrene Altersmediziner Prof. Dr. Stefan Zeller über Risiken und Tipps für eine sichere Medikamenteneinnahme im Alter:

Herr Professor Dr. Zeller, als erfahrener Altersmediziner (Geriater) haben Sie täglich mit hochbetagten Menschen zu tun. Warum steigt mit dem Alter die Anfälligkeit für Krankheiten?

Nun man muss nicht zwangsläufig krank sein, wenn man alt ist. Doch mit dem Alter unterliegt unser Körper natürlichen Veränderungen, sowohl auf zellulärer als auch auf organischer Ebene. Diese Veränderungen können zu einer Abnahme der Leistungsfähigkeit führen und machen ältere Menschen anfälliger für verschiedene Erkrankungen. Darüber hinaus spielen auch die Spätfolgen nicht vollständig auskurierter Krankheiten sowie Lebensgewohnheiten eine Rolle. Diese Faktoren tragen dazu bei, dass viele ältere Menschen regelmäßig Medikamente einnehmen müssen, um ihre Gesundheit aufrechtzuerhalten.

Prof. Dr. med. Stefan Zeller. Foto: Paul Glaser

Ich sehe da ältere Menschen mit großen Pillendosen vor mir – wo pro montags bis sonntags, unterteilt in morgens, mittags, abends mehrere große und kleinere Tabletten zur Einnahme bereit gestellt sind.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass ältere Menschen oft mehrere Medikamente gleichzeitig einnehmen müssen. Dies wird als Multimedikation oder Polypharmazie bezeichnet und ergibt sich daraus, dass ältere Menschen häufig unter mehreren chronischen Erkrankungen gleichzeitig leiden, die unterschiedliche medizinische Behandlungen erfordern.

Aber kann das nicht zu viel werden?

Ob die Anzahl der Medikamente zu viel ist, hängt von der individuellen Situation des Patienten ab. Die Herausforderung besteht darin, die richtige Balance zu finden, um die Gesundheit des Patienten optimal zu unterstützen, während das Risiko von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen minimiert wird. In einigen Fällen können mehrere Medikamente notwendig sein, um verschiedene gesundheitliche Probleme zu behandeln.

Altersunabhängig sind die Beipackzettel beinahe aller Medikamente sehr umfangreich und voll mit möglichen Risiken und Nebenwirkungen. Gibt es besondere Risiken von Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Medikamenten im Alter?

Ältere Menschen sind oft anfälliger für unerwünschte Nebenwirkungen von Medikamenten. Dies hängt mit den altersbedingten Veränderungen im Körper zusammen. Im Alter werden Wirkstoffe oft anders aufgenommen, verarbeitet und abgebaut. Das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen steigt mit der Anzahl der eingenommenen Medikamente. Man kann sagen, dass es ab fünf Medikamenten schwer ist, die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Substanzen abzuschätzen.

Was ist das Problem bei Wechselwirkungen?

Wechselwirkungen zwischen Medikamenten können erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Wenn verschiedene Medikamente zusammen eingenommen werden, können sich ihre Wirkungen verstärken, abschwächen oder unerwünschte Reaktionen auslösen. Ärzte müssen bei der Verschreibung neuer Medikamente berücksichtigen, welche anderen Medikamente der Patient bereits einnimmt. Je mehr Medikamente ein Patient einnimmt, desto schwieriger wird dies. Es ist wichtig, dass sowohl Patienten als auch Ärzte diese Risiken verstehen und vorsichtig bei der Einnahme von zusätzlichen Medikamenten sind.

Daten der gesetzlichen Krankenversicherung zeigen, dass etwa 30 bis 40 Prozent der Menschen über 65 täglich mindestens vier Medikamente einnehmen. Bei den über 75-Jährigen nimmt jeder Dritte sogar mehr als acht Medikamente ein. Wie kann die Therapiesicherheit im Alter erhöht werden?

Diese Zahlen machen deutlich, wie wichtig die sorgfältige Überwachung und die enge Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient ist. Ärzte sollten bereit sein, alle Fragen und Sorgen ihrer Patienten zu beantworten, insbesondere in Bezug auf die Medikamentenverordnung. Wenn ein Patient Bedenken hinsichtlich möglicher Nebenwirkungen hat, sollten diese angesprochen und diskutiert werden. Das Vertrauen zwischen Patient und Arzt ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Therapie. Dazu gehört auch eine regelmäßige Überwachung der Therapie und gegebenenfalls Anpassung durch den Arzt.

Und was kann der Patient tun?

Der Patient kann seinen Beitrag leisten, indem er die ärztlichen Empfehlungen und Verordnungen genau befolgt. Dies umfasst die gewissenhafte Einnahme der Medikamente, die Einhaltung einer Diät und die Anpassung des Lebensstils, wenn dies erforderlich ist. Patienten sollten vor allem keine eigenmächtigen Änderungen an ihrer Medikation vornehmen und immer Rücksprache mit ihrem Arzt halten. Die Kommunikation zwischen Patient und Arzt ist entscheidend für den Erfolg der Therapie.

Zur Person:

Prof. Dr. Stefan Zeller ist Geriater (Altersmediziner) und Angiologe (Gefäßmediziner) und kümmert er sich seit 20 Jahren um den Bereich der Akutgeriatrie im Klinikum Görlitz. Seit 2018 ist er Chefarzt und leitet die heutige Klinik für Innere Medizin II + Geriatrie. Darüber hinaus ist er Leiter des Zentrums für Altersmedizin/Geratriezentrum Ostsachsen. Dieses organisiert die Zusammenarbeit von regionalen Krankenhäusern sowie anderen medizinischen Leistungserbringern, damit die Versorgung hochbetagter Menschen in der Region weiter verbessert wird. Professor Zeller setzt sich seit vielen Jahren für die Belange der Altersmedizin im Landkreis Görlitz und sachsenweit als Vorsitzender des Landesverbandes Geriatrie ein.