Dr. Daniel J.Bibulowicz leitet die Suchtstation in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Seinen Vortrag „7 Fässer Wein können uns nicht gefährlich sein“ hörten knapp 60 Gäste. Wir haben ihm im Anschluss noch ein paar Fragen gestellt:
Dr. Bibulowicz, woran erkennt man, dass man ein echtes Alkoholproblem hat?
Im Grunde daran, wie sich das eigene Leben verändert hat, seitdem der Alkohol zum Begleiter wurde. Eine nüchterne Bilanz wird aber durch die eigenen Abwehrmechanismen höchstwahrscheinlich bei der ersten Konfrontation wirksam erschwert. Meist wird das Problem verleugnet. Deshalb sind Werkzeuge, die wir in der Klinik nutzen, wirksamer, um es herauszufinden.
Welche Fragen werden da gestellt?
Ob man zum Beispiel jemals daran gedacht hat, weniger zu trinken, oder ob man sich schon einmal geärgert hat, weil jemand das Trinkverhalten kritisierte. Eine weitere Frage geht in die Richtung Schuldgefühle wegen des eigenen Trinkens oder auch, ob man schon frühmorgens Alkohol trinkt, um sich den Start in den Tag zu erleichtern. Je mehr dieser Fragen positiv beantwortet werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein echtes Alkoholproblem vorliegt.
Ist es dann schon zu spät oder können Betroffene sich selbst noch helfen?
Es sollte nie zu spät sein. Jedoch hängt der Erfolg davon ab, wann man beginnt, sich dem Problem zu stellen und zu handeln. Je früher desto besser. Je länger die aktive Alkoholabhängigkeit dauert, desto schwerer sind die zu erwartenden Folgen: wesentliche gesundheitliche Schäden, soziale Isolation mit sozialem Abstieg, Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, demenzielle Entwicklung und immer weniger Ressourcen, um das Ganze umzudrehen. Daher müssen auch die Ziele der Behandlung in jedem Stadium der Erkrankung realistisch formuliert werden.
Was richtet Alkohol im Körper an? Welche Folgen hat zu hoher Alkoholkonsum?
Zu den weit bekannten Folgen wie Leberzirrhose muss ergänzt werden, dass Alkohol auch das Gehirn und andere Organe angreift und die Entwicklung von Krebs begünstigt. Auch entzündliche Erkrankungen der Mundhöhle und des Magen-Darm-Trakts sind nachgewiesen worden. Weitere Folgen sind Bluthochdruck, Funktionsstörungen des Herzens sowie ein fetales Alkoholsyndrom bei Neugeborenen. Zu den Komorbiditäten und Folgen des Alkoholkonsums zählen zudem vor allem affektive Störungen, Angststörungen, psychotische Störungen, Korsakow-Syndrom (amnestisches Syndrom) und eine weitere demenzielle Entwicklung.
Stimmt es, dass Alkoholabhängige nur ganz wenig Alkohol vertragen?
Alkoholabhängige Menschen vertragen üblicherweise größere Mengen von Alkohol, deswegen ist es für uns Kliniker kaum überraschend, wenn wir in der Notaufnahme Patienten sehen, die mit 2-3 Promille Alkohol im Blut noch relativ unbeeinträchtigt wirken und ziemlich sicher laufen können – dies bezeichnet man als eine Toleranzentwicklung. Das Gehirn passt sich an den anhaltenden Alkoholspiegel im Blut irgendwann an, wofür der Betroffene letztlich irgendwann u.a. mit Entzugserscheinungen, Krampfanfällen und langanhaltenden Schlafproblemen „bezahlen“ wird. Wenn die Erkrankung fortschreitet nimmt die Funktion der Leber ab und Alkohol wird immer schlechter und langsamer abgebaut. Als Folge wird auch ein geringer Alkoholkonsum einen „ausreichenden“ Alkoholspiegel im Blut sichern.
Was können Angehörige tun bzw. was sollten sie nicht tun?
Die Angehörigen können die Betroffenen auf unterschiedliche Weise zur Verhaltensänderung und Behandlung bewegen. Sie sollten vor allem auf sich selber achten und klare Grenzen im Alltag setzen. Dies ist jedoch nicht einfach. Durch eine Reihe von psychologischen Faktoren können die Angehörigen die Betroffenen in ihrem Suchtverhalten unbewusst „unterstützen“ was auch eine geeignete Therapie für Betroffene verzögern wird. Dieses Phänomen betrifft vor allem die Kinder und die Partner der Betroffenen und wird als Ko-Abhängigkeit bezeichnet. Hier können Selbsthilfegruppen für Angehörige helfen.
Wie läuft die Therapie ab?
Die erste therapeutische Intervention kann in einem hausärztlichen Setting, einer Suchtberatungsstelle bzw. in einer psychiatrischen Ambulanz stattfinden. Dabei wird die Problematik genau eingeschätzt, beraten und weitere Möglichkeiten abgewogen. Bei einer qualifizierten Entgiftung im stationären Setting erfolgt eine 24-Stunden Betreuung durch Fachpersonal und eine medikamentöse Therapie, um Entzugserscheinungen zu lindern und Krampfanfälle zu verhindern. Ein Versuch eines eigenständigen „kalten Entzugs“ ist aufgrund von möglichen Komplikationen heutzutage nicht zu empfehlen. Nach der körperlichen Entgiftung kommen psychotherapeutische Maßnahmen und eine Reihe von begleitenden Therapien zum Einsatz – dies nennt man Entwöhnung, die auch als eine Langzeittherapie bekannt ist. Die kann stationär oder ambulant über mehrere Wochen erfolgen. Im Anschluss zur stationären Entgiftung und Entwöhnung sind ein regelmäßiger Kontakt zu einer wohnortnahen Suchtberatungsstelle und die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe eine Selbstverständlichkeit, wenn der Betroffene es mit seiner Behandlung ernst meint.
Hilft die Behandlung oder werden viele rückfällig?
Beides ist wahr. Therapien können viel erwirken, vorausgesetzt die Betroffenen wollen und können sich auf diese wirklich einlassen. Mit Fortschreiten der Erkrankung und bereits eingetretenen „Verlusten“ müssen die Therapieziele eventuell neu formuliert und realistisch angepasst werden. Ein Rückfall an sich soll aber nicht als ein Therapiescheitern gesehen werden. Aus dem Rückfall kann man etwas lernen und darauf aufbauen. Rückfälle bestätigen auch, was wir unseren Patienten täglich beibringen wollen – wie schwerwiegend die Diagnose einer Abhängigkeit tatsächlich ist. In manchen Fällen mit schwerem Verlauf ist es illusorisch anzunehmen, dass die Betroffenen nach einer erneuten Langzeittherapie noch mindestens eine Weile abstinent bleiben können. Um den weiteren körperlichen und psychischen Schaden zu minimieren, kann nur ein Umzug in eine geschützte Wohnform bzw. eine geschlossene therapeutische Gemeinschaft das Leben retten.
Können Betroffene zur Therapie gezwungen werden?
Solange ein Mensch trotz seiner psychischen Störung – dazu zählt auch die Alkoholabhängigkeit – über den freien Willen verfügt, solange kann er zu keiner Therapie gezwungen werden. Dies garantiert uns das Gesetz (u.a. §1896 BGB). Psychiatrie war über mehrere Jahre nicht selten mit einer Freiheitsberaubung assoziiert. Wir bewegen uns im Rahmen des Gesetzes, hierzu das sächs. PsychKG und das Betreuungsgesetz, die u.a. Unterbringung und eventuell auch Behandlung gegen den Willen des Patienten regeln. Im Alltag werden wir aber mit Situationen konfrontiert, in denen wir manche Patienten als „nicht einwilligungsfähig“ einschätzen müssen. Wenn in einem Fall eine krankheitsbedingte Eigengefährdung oder Fremdgefährdung vorliegt und der Betroffene die Notwendigkeit der Therapie nicht einsehen kann bzw. sich gegen diese wehrt dann muss in weitere Entscheidungen das Gericht einbezogen werden. In manchen Fällen kann auch eine rechtliche Betreuung eingerichtet werden, um die Patienten langfristig u.a. bei Gesundheitsangelegenheiten zu unterstützen. Unsere Alltagsbeispiele für Patienten, die momentan oder dauerhaft ihre aktuelle Lage nicht mehr einschätzen können, sind schwere Intoxikationen, Entzugsdelir mit gleichzeitigen Weglauftendenzen, Korsakow-Syndrom (spezielle Merkfähigkeitsstörung) bzw. Alkoholdemenz.
Wie kann man einer drohenden Alkoholabhängigkeit vorbeugen?
Grundsätzlich wie auch in anderen Bereichen der Medizin: mehr für Prophylaxe tun. Verhindern ist wirksamer und günstiger als Behandeln. Informationskampagnen, Mitwirkung der Politik, möglicherweise auch Anpassungen der Gesetze wären notwendig, um das Ausmaß der Problematik mindestens zum Teil zu minimieren. Weit verbreitete Alkoholwerbung, die auch Minderjährige erreicht, die Akzeptanz der Gesellschaft gegenüber moderatem Alkoholkonsum, Ritualisierung des Alkoholkonsums zu mehreren Anlässen sowie wirtschaftliche Faktoren – das alles trägt nicht zur Vorbeugung alkoholbezogener Störungen bei.
Spielt Alkoholsucht bei uns in der Region eine große Rolle ?
Die Tatsache, dass unsere Suchtstation P2A fast immer „voll belegt“ ist, könnte dafür sprechen, wie groß der eigentliche Behandlungsbedarf in der Stadt und in der Region ist.
Kontaktstellen:
Psychosoziale Beratungs- und Behandlungsstelle
Jakobstraße 24
02826 Görlitz
Tel: 03581 306995
Alkanti-Magazin e.V.
suchtmittelfreier Tagestreff
Jakobstraße 24 (Vorderhaus)
02826 Görlitz
Mo.-Fr. 10-15 Uhr
Frauengruppe über PsBB (Beratungsstelle)
Jakobstraße 24
02826 Görlitz
Anmeldung über PsBB: Tel.: 03581 306995
Anonyme Alkoholiker
Selbsthilfegruppe
Gemeindehaus der ev. Kirche
Kirchstr. 1
02827 Görlitz – Weinhübel
dienstags 19 Uhr
Blaues Kreuz Ortsverein Görlitz e.V.
Selbsthilfegruppe
Ossietzky-Str. 31
02826 Görlitz
Tel.: 03581 78154