Mittwochmorgen, 6.45 Uhr. Wie vereinbart stehe ich an der Eingangstür zum Küchenbereich der Cafeteria in unserem Klinikum. Ich gehe einen Tag fremd und tausche Unternehmenskommunikation mit Küche, das bedeutet: Kochlöffel statt Tastatur. Lebensmittelverarbeitung statt Wortakrobatik! So richtig weiß ich noch nicht, was mich heute hinter diesen Türen erwartet, aber ich ziehe diesen Berufstausch für einen Tag jetzt durch! Im Vorgespräch klang es interessant. Geplant sind die Mittagsmenüs: Spätzle mit Käsesoße, Mailänder Omelett und Ratsherrenschnitzel.
Los geht es mit der Einkleidung und Hygienebelehrung. Ich bekomme eine weiße Hose, eine weiße Kochjacke und einen blauen „Vorstecker“, andere würden dazu Schürze sagen. Die Knöpfe an der Jacke zaubern mir ein erstes Lachen ins Gesicht. Es sind kleine Smileys! Im Küchenbereich klappert es, es dampft und zischt. Bevor ich die Küche betrete, desinfiziere ich mir zuerst die Hände. Daraus wird eines der Rituale dieses Tages, das auch die anderen hier pflegen.
Aus dem großen Druckkessel am Ende der Kochstrecke steigt Wasserdampf empor. Zwei Männer und eine Frau sind schon mittendrin in den Vorbereitungen. Sie stellen sich als Reinhildt, Lars und David vor. Wir grinsen, denn wir kennen uns vom Sehen. Heute lerne ich ihren Arbeitsbereich kennen und – schätzen, wie ich acht Stunden später mit schmerzenden Füßen weiß.
Reinhildt bereitet die Patientenmittagessen für den kommenden Tag vor. Dies funktioniert mit Kaltportionierung: Die Speisen werden entsprechend der Bestellungen der Patienten vorbereitet. Reinhildt stellt die Zutaten in entsprechenden Mengen zusammen: Kiloweise Möhren, Blumenkohl, Hühnerbrust, Hähnchenkeulen, Pilzragout, Kartoffelbrei, Spargel- und Vanillesuppe und Soßen. Die warmen Speisen werden zubereitet. Für die Spargelsuppe z.B. gieße ich 20 Liter Wasser in zwei große Gefäße bevor der Schneebesen zum Einsatz kommt. Diese großen Edelstahlbehälter werden später in einem speziellen Kühlschrank (dem Chiller) in nur 90 Minuten auf unter 10 Grad Celsius runtergekühlt und im Kühlraum bei 4 °C gelagert. Am kommenden Tag holen sich die Mitarbeiter diese vorbereiteten Speisen, um sie entsprechend der Patientenbestellung kalt auf Teller zu portionieren. Die Speisewagen, in denen die Essen auf die Stationen ausgeliefert werden, sind so programmiert, dass das Essen schonend erwärmt wird, bevor es zu den Patienten gebracht wird. Teller und Tabletts funktionieren mit Induktion.
Während Reinhildt mit der Zubereitung der Spargelsuppe beschäftigt ist, sehe ich David zwischen den vier Kombidämpfern und zwei Kochautomaten hin- und herlaufen. Lars steht am Kipper, einer großen Bratpfanne neben dem Gasherd und füllt ihn mit insgesamt 17 Kilogramm Hackfleisch. Daraus werden 175 Portionen Bolognese. Er unterbricht seine Arbeit für meinen ersten Auftrag und legt ein Schneidebrett auf die große Arbeitsfläche aus Edelstahl. Daneben kommen zwei flache und ein tiefer Behälter. Einer mit Mehl, und einer mit Semmelmehl. In das Gefäß dazwischen gieße ich vier Liter Flüssig-Ei, das mit einer Gewürzmischung verrührt wird. Links von dieser Aufstellung hat er schon Käse- und Schinkenscheiben vorbereitet. Es sind rund 100 Stück, wie ich zwei Stunden später weiß.
Reinhildt braucht Platz in einem der Combi-Dämpfer. Ihre Karottenscheiben und der Blumenkohl müssen vorbereitet werden. David schaut kurz in die Geräte und nickt. Er hat inzwischen Erbsen in einen Behälter gefüllt und Reis auf drei weitere verteilt. Er gießt Wasser an den Reis. Zusammen mit den Behältern von Reinhildt schiebt er alles in einen der Dämpfer.
Dieses Ballett fasziniert mich schon jetzt. Alle drei bewegen sich zielsicher in dieser Großküche, jeder weiß was er macht. Zwischendurch kurze Absprachen oder eine Rückfrage. Kann das mit in den Combi-Dämpfer? Hast Du Platz im Chiller? Wollen wir für das Mailänder Omelette dieses Gewürz nehmen oder ein anderes? Hier herrscht keine Hektik sondern Effizienz. Ich merke dass dieses Team funktioniert. Die drei ausgebildeten Köche kennen sich. Jeder hilft dem anderen. Lars rührt die Brühe um, die Reinhildt später mit Ei verquirlt, David holt einen der Behälter von Reinhildt und trägt ihn zum Combi-Dämpfer. Fertig gegartes Essen bringt er zum Chiller, der nach der Bestückung jedes Mal mit einem lauten Brummen anspringt.
Wieder desinfiziere ich mir die Hände. Nachdem ich mir Küchenhandschuhe angezogen habe zeigt Lars mir was ich machen soll – Ratsherrenschnitzel für unser Bistro und die Cafeteria. Eine Scheibe Schinken und eine Scheibe Käse kommen in eins der aufgeschnittenen Schnitzel. In Mehl wenden, dann ins Ei tunken und kurz abtropfen. Anschließend in die Panade legen und diese gut festdrücken. „Die linke Hand bleibt über dem Ei, sonst pappt das nachher alles zusammen“, gibt mir Lars einen Tipp. Mein erstes Schnitzel sieht aus wie ein Kunstwerk, nur nicht wie ein Ratsherrenschnitzel. Ab dem vierten oder fünften Versuch wird es deutlich besser. Später erfahre ich, dass ich insgesamt rund 120 der gefüllten Schnitzel vor mir habe. Während ich wieder und wieder mehliere, in Ei tunke und paniere schaue ich aus dem Augenwinkel was die anderen machen. Das Gehackte für die Bolognese brät im Kipper und wird von Lars und David gewürzt und gewendet. Parallel bereitet Lars eine Mischung aus flüssigem Ei, Speisestärke und Gewürzen zu. Daneben stehen frisch gekochte Spaghetti mit Schinken. Daraus werden zur Mittagszeit Mailänder Omeletts gebraten. 74 gehen zwischen 11 und 14 Uhr in der Cafeteria über die Theke. Frischer geht es nicht!
David hat Hähnchenschenkel im Combi-Dämpfer. Dieser Kochautomat ist computergesteuert und hat bestimmte Programme hinterlegt. Er ist auf „Huhn“ und „braten“ eingestellt. „Den Rest macht die Maschine, ich schaue immer wieder mal nach der Temperatur und dass sie schön braun und knusprig werden“, erklärt er mir zwischendurch. Das Menü sieht Hähnchenschenkel mit Karottengemüse und Kartoffeln vor. 270 Schenkel werden es. Er jongliert zwischen den Dämpfern und Kochautomaten.
Speiseversorgung durch die Betriebsgesellschaft des Klinikums Görlitz mbh (BGK) im Überlick:
Wer | Anzahl Portionen |
Patienten | 480 |
Cafeteria im Klinikum | 130 |
Bistro im Klinikum | 25 |
Kindergarten im Klinikum | 30 |
HoyReha | 30 |
Essen auf Rädern | 35 |
Betreutes Wohnen | 30 |
Hauskrankenpflege | 30 |
insgesamt | 790 |
In Summe reden wir hier von rund 800 Portionen! Das variiert von Tag zu Tag und nimmt Zeit und Platz in den Geräten in Anspruch. Da darf es zu keinen großen Leerständen oder Verzögerungen kommen.
Wieder der Gedanke an ein Ballett. Zielsichere, genaue Bewegungen. Die Handgriffe sitzen. Immer wieder prüfende Blicke in die Speisepläne. Gerade bei den Essen für die Patienten ist Beständigkeit wichtig. „Wir halten uns genau an unsere Rezepte und Mengenvorgaben“, sagt Reinhildt. Die sogenannten Basen, eine spezielle Kostform, sind zum Beispiel fast gar nicht gewürzt. „Das bekommen unter anderem Patienten mit Magenerkrankungen, die sich erst langsam wieder an solche Nahrungsmittel und Gewürze gewöhnen sollen“, erklärt sie mir.
Ganz nebenbei brät David meine fertig panierten Schnitzel. Auch sie wandern anschließend in den Dämpfer. Eins davon legt er bei mir auf einen Teller. „Schauen wir mal, wie die Schnitzel geworden sind“, sagt er mit halb ernster Miene. Alle drei schneiden sich ein Stück ab. „Schön saftig in der Mitte“, höre ich von Lars und atme auf bevor ich selber ein Stück probiere. Erst jetzt merke ich dass ich Appetit habe. So richtig essen möchte ich trotzdem nicht. Dafür sind mir die sensorischen Eindrücke noch zu viel.
Die Bolognese duftet inzwischen verführerisch. Tomatenmark, etwas Ketchup und Gewürze sind dazu gekommen und alles köchelt vor sich hin. Die Mengen bauen auf der letzten Zubereitung der Speisen auf. Der Speiseplan der Patienten wiederholt sich alle sechs Wochen. So lässt sich gut einschätzen, was bei den Kunden gefragt ist. Trotzdem variiert der Konsum von Tag zu Tag. „Es gibt Tage, an denen kommen wir mit manchen Essen nicht hinterher. Gestern gab es zum Beispiel in der Cafeteria Schweinelachssteak das wir frisch gebraten haben. In der Mittagszeit bin ich zu nichts anderem gekommen und habe fast nur Steaks gebraten“, sagt David lachend.
120 Ratsherrenschnitzel später – endlich raus aus den Handschuhen, Zeit für eine kurze Pause. Bei einem Kaffee erzählen mir David und Lars dass die größte Umstellung von einer Küche mit Essen „à la carte“ zur Großküche im Klinikum die reinen Mengen sind. „Mit einer Dose Erbsen kommen wir hier nicht weit“, erklärt David. Auch bei den Gewürzen sind sie deutlich großzügiger als sie es gelernt haben – Handvoll statt Prise. Trotzdem können sie kreativ sein und die Speisepläne gemeinsam mit dem Küchenchef gestalten. Bei der Essensplanung bringen sie Vorschläge ein und, noch wichtiger, geben Rückmeldung, wenn mal eine Lieferung qualitativ nicht überzeugt. „Das geht ziemlich schnell. Wenn wir dem Lageristen sagen, dass z.B. beim Blumenkohl zu viele Strünke waren, gibt er das an den Lieferanten weiter. Meist hat sich das schon einen Tag später mit der nächsten Lieferung verbessert“, erklärt Lars.
Zurück in der Küche, Zeit für die Mailänder Omeletts. Eine Portion Nudeln mit Schinken wandert in die Pfanne. Darüber kommt eine kleine Schüssel mit der Ei-Mischung. Braten bis das Ei stockt, dann vorsichtig übereinander schlagen. Nochmal kurz braten, dann in eine Auflaufform geben. Die kommt, mit drei weiteren Formen auf einen Edelstahldeckel in den Kombidämpfer zum warm halten und zwischenlagern. Die Nachfrage ist groß heute. David bringt immer wieder Nachschub aus dem Dämpfer in die Cafeteria. Ich bereite die Auflaufformen vor und bringe sie in den Dämpfer.
Gegen Zwölf und halb Eins sind die Stoßzeiten. Dann gehen die Kollegen aus dem Klinikum essen. Alles geht nochmal ein wenig schneller. David pendelt zwischen der Küche, Cafeteria und dem Kipper. Lars brät ein Omelett nach dem anderen.
Verzehr am Mittwoch, dem 14.11.
Was | Portionen |
Ratsherrenschnitzel | 78 |
Mailänder Omelette | 74 |
Auflauf | 13 |
Spätzle mit Käsesoße | 10 |
insgesamt | 175 |
Vorbereitung für den 15.11.
Was | Portionen |
Hähnchenschenkel mit Karottengemüse und Kartoffeln | 270 |
Spaghetti Bolognese | 175 |
Waldpilzragout mit Kartoffelbrei und Salat | 140 |
insgesamt | 585 |
Kurz nach Eins wird es dann wieder merklich ruhiger. Tabletts mit den Testessen stehen auf der Arbeitsfläche. Die Köche haben schon alles probiert und warten auf die Küchenleitung. Ich bekomme einen Löffel und werde aufgefordert auch mal zu kosten. Es gibt keine Beanstandungen, weder von der Leitung noch von mir. Damit stehen die Essen für den kommenden Tag.
Vor uns liegt das letzte Ballett des Tages – die Reinigung mit Lappen und Wischer. Im Hygienebereich Küche ein wichtiges tägliches Ritual, entsprechend penibel gehen wir es an. Alle Arbeitsflächen werden mit einer fertig dosierten Reinigungslösung abgewischt. Die Combidämpfer und die Bräter werden eingesprüht, der Rest läuft über ein Reinigungsprogramm. Der Fußboden wird mittels Sprühschlauch vorbehandelt, bevor der Tanz mit dem Schrubber beginnt. Nach der Massage bekommt der Boden eine kalte Dusche und wird mit klarem Wasser abgespült. Meine letzte Aufgabe an diesem Tag ist noch einmal schweißtreibend. Mit dem Abzieher schiebe ich das Schmutzwasser in den Ablauf, der als letztes gereinigt wird. Dann schnappen wir uns Sprühflaschen mit Desinfektionsmittel und nebeln alle Oberflächen ein. Geschafft!
Acht Stunden später verlasse ich die Küche wieder. Meine Füße schmerzen. Ich habe großen Respekt für alle, die in dieser Abteilung arbeiten. Es war ein anstrengender und lehrreicher Tag. Wenn ich das nächste Mal in die Cafeteria Mittagessen gehe werde ich die Kollegen und das Essen mit anderen Augen betrachten!
Auf dem Weg nach Hause entsteht eine Geschichte in meinem Kopf. Sie hat etwas mit Ballett zu tun.