Es ist 8:00 Uhr. Ich stehe im Umkleideraum des OP-Bereichs und bin aufgeregt. In meinem eigentlichen Job in der Presseabteilung des Klinikums sitze ich viel am Computer, fotografiere und begleite Veranstaltungen. Heute werfe ich einen Blick in den sensibelsten Bereich eines Krankenhauses: den Operationstrakt. Oberteil, Hose, Schuhe, OP-Haube, Mundschutz – es dauert etwas, bis ich die grüne OP-Kleidung angezogen habe. Die beiden Ärzte, die gerade dazu kommen sind geübter und deshalb auch vor mir fertig. Ich beobachte, wie sie die Hände desinfizieren und tue es ihnen gleich. Danach trete ich hinaus auf einen langen Gang. Hier riecht es anders, es klingt alles anders. Es ist eine fremde Welt. Rechts von mir sehe ich Schiebetüren, hinter denen sich die Operationssäle befinden. Sieben sind es im Klinikum. Das Personal in den Sälen steht inmitten von viel Technik, es blinkt, es piept und es ist hell. Trotzdem wirkt alles sehr ruhig hier. Da entdecke ich Schwester Jutta, die mir aufmunternd zunickt. Sie ist leitende OP-Schwester und ein „Urgestein“ im Klinikum. Sie arbeitet bis auf eine Unterbrechung seit 1975 in diesem Haus. „Schön, dass Sie da sind!“, begrüßt sie mich, ebenfalls komplett in grüner OP-Kleidung. Ihre Ruhe und Souveränität strahlt auf mich ab.
Schwester Jutta zeigt mir die unterschiedlichen Bereiche des OPs. Das sind unter anderem die Einleitungsräume, die Lagerräume für OP-Materialien, OP- und Anästhesie-Geräte, der Entsorgungsraum und die Waschräume für das OP-Personal. Von den Menschen, denen ich hier begegne, sehe ich nur die Augen. Das ist ein merkwürdiges Gefühl. Auf der Rückseite der OP-Säle gibt es einen weiteren langen Gang. Hier befinden sich der Aufzug in die Zentrale Sterilgutversorgungsabteilung (ZSVA) und Materialschränke.
Ein OP-Tag beginnt genau genommen schon einen Tag vorher. Bei der OP-Saal-Besprechung um 14 Uhr legen Mitarbeiter aus den Bereichen OP, Anästhesie und ZSVA den Plan für den kommenden Tag fest. Auch die Einteilung des OP-Personals erfolgt hier. Trotzdem muss dieser Plan auch am eigentlichen OP-Tag flexibel bleiben, denn es kann immer etwas Unvorhergesehenes geschehen, wie zum Beispiel eine ungeplante Notoperation. „In solch einem Fall wird das geplante Programm des Saales gestoppt, der als nächstes fertig wird. Nach Beendigung des jeweiligen Eingriffs bereiten wir diesen Saal dann für die Not-OP vor“, erklärt Schwester Jutta.
Für einen Patienten oder eine Patientin ist ein Operationstag auch aufregend – ich weiß das aus eigener Erfahrung. Meist wartet man in seinem Patientenzimmer bis das Stationspersonal kommt und den Patienten oder die Patientin zur Operation abholt. Das Personal arbeitet dabei ruhig und routiniert. Um die Aufregung etwas zu mildern, sprechen sie immer wieder mit dem Patienten oder der Patientin. Sätze wie „Wie geht es Ihnen? Was wird heute bei Ihnen gemacht? Wir kümmern uns um Sie“, helfen und beruhigen.
Kommunikation mit den Patient:innen ist dem Anästhesiepersonal wichtig. Ich begleite heute die Operation eines Patienten, bei dem eine Leistenhernie mittels TAPP operiert wird – ein Verschluss eines Leistenbruches mit einem Netz. Etwas mulmig ist mir schon, denn genau dieser Eingriff wurde auch bei mir schon einmal durchgeführt. Nun sehe ich es also von der anderen Perspektive und bin darüber hinaus auch noch wach.
Der Anästhesist schließt Instrumente an und bewacht die Vitalfunktionen. Auf Monitoren sind verschiedene Kurven und Zahlen zu sehen, unter anderem Herzschlag, Blutdruck und Sauerstoffsättigung. Die Narkosemedikation richtet sich nach dem Anästhesiebogen, den ein Anästhesist meist am Vortag der Operation gemeinsam mit dem Patienten besprochen hat. Bevor der Patient in den OP-Saal geschoben wird, desinfiziere ich mir erneut gründlich die Hände.
Drinnen stehen schon die OP-Funktionsschwestern Heike und Judith. Es sind immer zwei OP-Schwestern in einem OP-Saal. Die sogenannte unsterile Schwester – in diesem Fall Judith – öffnet beispielsweise unsterile Verpackungen. Die sterile Schwester steht gegenüber dem Operateur und reicht die Instrumente. Manchmal muss sie stundenlang stehen, auch zwischen Operationen, wenn der Saal hergerichtet wird: Stühle können nicht so einfach sterilisiert werden wie Lampengriffe, und im Weg stünden sie auch. Also gibt es keine.
Heikes und Judiths Schicht begann schon um 7 Uhr, denn ab da haben sie den Saal für die anstehende OP vorbereitet
Jetzt kommen der Anästhesist und die Anästhesie-Pflegekraft mit dem Patienten. Über uns rauscht die Lüftung, die Überwachungsmonitore blinken und piepen. Der Allgemeinchirurg und seine Assistentin betreten den Saal. Die OP-Schwester kleidet sie im Saal mit Kittel und Handschuhen ein. Neben dem OP-Tisch hat sich die Heike als sterile Schwester zwei weitere Tische eingerichtet, auf denen die Instrumente für die Operation liegen. Der Operateur macht ruhige Ansagen, bittet die sterile OP-Schwester um das Skalpell und setzt die ersten Schnitte.
Schwester Judith hat als unsterile Schwester immer einen Blick auf ihre Kollegen am Tisch. Im vorläufigen OP-Bericht dokumentiert sie, was während der OP passiert, welche Materialien und Medikamente zum Einsatz kommen. Wenn Heike am Tisch etwas braucht, bittet sie Judith darum. Klebezettel auf den unsterilen Verpackungen geben Auskunft über das Material, die Informationen kommen in den OP-Bericht und dienen der Dokumentation. Der Eingriff verläuft ohne Komplikationen und wird nicht so lange dauern, wie ursprünglich geplant. Schwester Judith erkundigt sich beim Operateur nach der Restdauer. Dann ruft sie in der ZSVA an und bestellt das Sterilgut für den nächsten geplanten Eingriff in diesem Saal.
Am Ende der OP sehe ich noch einmal, was mir Schwester Jutta zu Beginn als einen der wichtigsten Punkte ihrer Arbeit vermittelt hat: Patientensicherheit, unter anderem durch das 4-Augen-Prinzip, und die Bedeutung von Zählkontrollen, Checklisten und Dokumentation. Die OP-Schwestern zählen Tupfer, Kompressen und ähnliches Material, das bei dem Eingriff verwendet wurde. Erst wenn die Zahlen auf dem Materialbogen übereinstimmen werden die Schnittwunden des Patienten zugenäht. Parallel bereitet Schwester Judith die Siebe vor. Das sind Metallkisten in die Schwester Heike die Instrumente legt, bevor sie zur Sterilisation in die ZSVA gebracht werden.
Der operierende Arzt tritt gegen Ende der Operation vom Tisch und widmet sich der Dokumentation an einem Computer. Sie ist entscheidend für die spätere Abrechnung und den Erlös, den das Klinikum für die Behandlung erzielt. Bevor er den Saal verlässt, bedankt er sich bei allen Kolleginnen und Kollegen. Die Assistentin kümmert sich inzwischen um die Versorgung der Schnittwunden und näht diese zu. Die Ärzte und OP-Schwestern unterschreiben den OP-Bericht, Schwester Judith vermerkt am Computer die Endzeit der Operation.
Zwei weitere Mitarbeiter sind inzwischen im Saal und helfen beim Aufräumen und saubermachen. Der Saal muss für den nächsten Eingriff vorbereitet werden. Tagsüber übernimmt das Schichtpersonal auch die Reinigung.
Der Patient befindet sich auf dem Weg in den Aufwachraum. Kurz hat er die Augen geöffnet und im Halbschlaf mitgeteilt, dass er keine Schmerzen hat. Im Aufwachraum informiert der Anästhesist die Pflegekräfte darüber, welcher Eingriff bei dem Patienten vorgenommen wurde und wie er ihn überstanden hat. Ab hier übernimmt das Pflegepersonal die Betreuung und Überwachung bis der Patient so wach ist, dass er zurück auf Station in sein Zimmer gebracht werden kann.
Die Eindrücke der letzten vier Stunden wirken lange bei mir nach. Ich bin von der Effizienz und Ruhe dieser Kolleginnen und Kollegen beeindruckt. Vor allem aber von ihrer Teamarbeit. „Unser OP-Team lebt und arbeitet wie unter einer Käseglocke“, hat mir Schwester Jutta zu Beginn meines Besuchs im OP-Trakt gesagt. Sie meint damit, dass die wenigsten Menschen wissen, was alles in diesem Bereich eines Krankenhauses passiert. Sie hat Recht. Vielleicht ist es mir gelungen, die Glocke ein wenig zu lüften. Auch hier arbeiten Menschen, Kollegen und Freunde für die Gesundheit unserer Patienten.
Zahlen/Daten zum OP-Trakt (2020)
- 39 Mitarbeiter im OP
- 24 Fachschwestern; Grundberuf Gesundheits- und Krankenpfleger/in, dann Fachweiterbildung
- 16 Krankenschwestern
- 2 Bufdis
- 3 Servicekräfte
- 7 OP-Säle: 2 davon bis 17:30 Uhr geplant, einer „open End“
- Saal 1 hauptsächlich Augen-OPs, weil er dafür besondere Ausstattung hat
- alle andere Säle multifunktionell planbar
- ca. 14.000 Operationen / Jahr