Privatdozent Dr. Thomas Reuster ist Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Städtischen Klinikum. Er spricht über Humor bei der Behandlung von Kranken.
Herr Dr. Reuster, ist Ihnen angesichts der vergangenen „Corona-Monate“ eigentlich noch zum Lachen zumute?
Mir gingen in den ersten Corona-Wochen, als man wirklich besorgt auf eine Krankheitswoge wartete, aber eben wartete und sie noch nicht greifen konnte, sehr oft die Verse aus der „Bilanzballade“ von Wolf Biermann durch den Kopf: „Noch lachen wir / noch machen wir nur Witze!“ Noch war dabei die Pointe, die plötzliche reale zeitliche Perspektive, die plötzlich und immer wieder einer Heiterkeit, auch dem Lachen, Raum gab. Das hat die äußere Lage nicht verändert, aber die innere.
Kann man denn Probleme „weglachen“ oder verdrängt man sie damit nur?
Man kann Probleme weglachen, aber Lachen zu diesem Zweck wirkt im Allgemeinen peinlich. Weil es sich nicht um Probleme handelt, die durch Lachen, wohl aber anders zu lösen sind, was aber den Weglachenden zu überfordern scheint. Etwas anderes ist es, trotzdem zu lachen, also wenn klar ist, dass eine unangenehme Lage tatsächlich im Moment nicht zu ändern ist.
Gibt es so etwas wie eine „Lachtherapie“ in der Medizin?
Ja und nein. Krankheit und Tod sind ernste Gegner, darüber soll man sich nicht täuschen. Aber solange sie noch Raum lassen, ist auch Platz für Humor – und zwar für Patient und Arzt. Lachen, soweit (noch) möglich, ist tatsächlich eine Medizin, weil sie die Stimmung zumindest kurzzeitig aufhellt. Dies wiederum vermindert messbar wahrgenommene Schmerzen und körperliches Missbehagen. Auch Angst, der Feind von Hoffnung und Vertrauen, verschwindet für einen Moment durch Lachen.
Welche Rolle spielt Humor bei der Behandlung von Kranken? – Ist Humor eher für den Therapeuten wichtig oder für den Patienten?
Humor hilft jedem, der (noch) dazu fähig ist, also dem Arzt oder Therapeuten und dem Patienten. Wir haben in der Psychiatrischen Klinik aber auch Stationen, auf denen das Leben sich in sehr schweren Leidenszuständen einzelner Patienten zeigt. Oft sind diese zu Humor nicht mehr fähig, manchmal vielleicht noch zu flüchtigem oder rudimentärem Lachen. Erstaunlich ist die oft gute Stimmung unter den Pflegenden und Therapeuten bzw. Ärzten. Das ist angesichts der kräftezehrenden Tätigkeit überlebenswichtig. Tatsächlich wird im Dienstzimmer oft gelacht. Gottseidank. Diese Gelöstheit beeinflusst auch den pflegerischen Umgang mit den Patienten.
Muss der Patient humorvoll sein?
Patient heißt wörtlich Leidender. Ein Leidender, der Schmerzen hat und vielleicht auch Sorgen und Angst, ist meist nicht fähig oder dazu aufgelegt, humorvoll zu sein. Aber wenn es ihm gelingt, trotz allem eine Situation einmal komisch zu finden, über einen passenden Scherz der Krankenschwester oder eines Besuchers zu lachen, dann ist das immer gut.
Kann man Humor lernen?
Mehr ja als nein. Man muss Sprache lernen, und auch das Abstrahieren, und letztlich auch, eine Situation schnell zu erfassen und zu erkennen, welcher Moment für eine Pointe der richtige ist. Andererseits ist alles, was man in Sachen Humor lernen kann, noch kein Garant für passenden Humor. Etwas wie Intuition, die schwer zu zerlegen ist, muss wohl hinzukommen. Ich schätze sehr das Gedicht Wilhelm Busch’s vom Vogel, der Humor hat. Busch zeigt hier, wann er von Humor sprechen möchte und dass der Vogel Humor hat. Busch sagt nicht, wie ihn der Vogel gelernt hat. Jedenfalls hat dieser Vogel eine Fähigkeit, die ein anderer eventuell nicht hat, die er aber, vielleicht durch Abschauen und durch Empathie, von ihm lernen kann.
Das Gedicht lautet:
Es sitzt ein Vogel auf dem Leim,
er flattert sehr und kann nicht heim.
Ein schwarzer Kater schleicht herzu,
die Krallen scharf, die Augen gluh.
Am Baum hinauf und immer höher
kommt er dem armen Vogel näher.
Der Vogel denkt: Weil das so ist
und weil mich doch der Kater frisst,
so will ich keine Zeit verlieren,
will noch ein wenig quinquillieren
und lustig pfeifen wie zuvor.
Der Vogel, scheint mir, hat Humor.
Bei welchen Krankheitsbildern wird Humor eingesetzt?
Bislang gibt es nach meiner Kenntnis keine Indikationsliste für den Einsatz von Humor bei verschiedenen (psychischen) Erkrankungen. Eher gibt es therapeutische Schulen, die dem Humor mehr Interesse entgegenbringen als andere. Zu den Ersteren zählen z.B. die Existenzanalyse, die provokative Therapie oder Individualanalyse Alfred Adlers. Zu den Letzteren eher die Psychoanalyse oder die Verhaltenstherapie. Und dann kommt es auch auf den Therapeuten an. Hat er oder sie Sinn und Mut zu Humor – und hat das auch der oder die Patient:in? Man muss, wie bei allem, was man in der Medizin tut, auch bei der Anwendung von Humor, die damit zusammenhängenden Gefahren kennen. Lachen kann ja auch enorm destruktiv wirken. Man kann einen Patienten durch Lachen oder vermeintlichen Humor sehr kränken und verletzen.. Die Grenze zwischen hilfreichem und schädlichem Humor ist keineswegs immer scharf und sie verläuft im Unterholz bisweilen recht tückisch. Nahe am Humor liegen Ironie und Sarkasmus, die vor allem im Dienste eines Zynismus’ unangenehm und gefährlich sind.
Gibt es wissenschaftliche Arbeiten zu dem Thema?
Ja, seit den 1980er Jahren wird das Thema sporadisch auch in der wissenschaftlichen psychologischen und psychotherapeutischen Literatur behandelt. Zuletzt kam ein Buch von Barbara Wild auf den Markt „Humor in Psychiatrie und Psychotherapie“, worin auch die wichtigen Zeitschriftenbeiträge der letzten Jahrzehnte aufgelistet sind. Von Titze und Eschenröder stammt ein weiteres ähnliches Buch aus den 90er Jahren.
Seit wann ist bekannt, dass Humor helfen kann?
Gute Frage. Ich würde mal denken, seitdem es Humor gibt, denn es ist ja eine allgemeine Erfahrung, dass Humor zumindest kurzzeitig (durch Lachen) befreiend wirkt. Im alten Ägypten hat man psychisch Kranke mit Musik, Tanz und gemeinsamer Arbeit zu heilen versucht – man hat eigentlich schon alles probiert, was auch heute noch außerhalb der medikamentösen und somatischen Therapie in der Psychiatrie und Psychotherapie angewendet wird. Im Alten Testament gibt es einige Textstellen zum Lachen, die therapeutisch relevanteste findet sich in den Sprüchen (17,22): „Ein fröhlich Herz tut auch dem Körper gut, den Leib dörrt aus ein kummervoll Gemüt“. In der antiken Philosophie findet man z.B. bei Aristoteles oder bei Cicero Reflexionen über das Lachen, im 17.Jhdt. dann etwa bei dem Frühaufklärer Thomas Hobbes. Unter den Psychotherapeuten ab 1900 dürfte Alfred Adler einer der ersten gewesen sein, die explizit die Möglichkeiten des Humors in der Neurosenbehandlung genutzt haben.
Dr. Eckart von Hirschhausen macht „Medizinisches Kabarett“ – kennen Sie seine Arbeit? Finden Sie gut, was er macht?
Im Entertainment bin ich weniger zuhause, Hirschhausen ist vor allem Entertainer. Aber er ist auch Arzt und verleugnet seinen gelernten Beruf nicht. Er kann gesundheitsbezogene Inhalte auf humorvolle Weise vermitteln. Das finde ich gut. Er spielt eine wichtige Rolle im Kontext der Gesundheitskommunikation. Medizinisches Kabarett sehe ich als ein Instrument innerhalb der Gesundheitskommunikation. Es ist eine Art allgemeine Gesundheitsedukation, aber weniger auf bierernste Zeigefingerart, sondern mit gutem und humorvollem Unterhaltungswert. Auch Gesundheitsclowns, die in diesem Zusammenhang zu nennen wären, halte ich für hilfreich, und nicht nur ich, es gibt ja Effektstudien dazu, etwa für den Einsatz in Kinderkliniken oder auf Demenzstationen.