Vergesslichkeit, Konzentrationsprobleme, Sprachstörungen, Persönlichkeitsveränderungen – eine Demenz hat viele Gesichter. Mehr als 1,5 Millionen Menschen sind momentan in Deutschland von einer Demenz betroffen – Tendenz steigend. Und auch wenn es ein paar Faktoren gibt, mit denen man einer Demenzerkrankung vorbeugen kann, gibt es keine Möglichkeit, sich sicher davor zu schützen. Aus diesem Grund wollte ich mehr über Demenz wissen. Wie fühlt es sich an, wenn einfache Aufgaben nicht zu schaffen sind, wenn man an Kleinigkeiten scheitert, ständig auf der Suche nach den richtigen Begriffen ist, keine Orientierung hat oder die ganze Welt nicht mehr versteht?
Anlässlich des Welt-Alzheimertages konnten am 25.09. Nicht-Betroffene in der Magistrale des Klinikums erleben, wie sich Demenzsymptome anfühlen. An neun Stationen des Demenz-Parcours konnten die Besucher Alltagssituationen wie Anziehen, Frühstück machen oder Tabletten sortieren mit den simulierten Einschränkungen einer Demenzerkrankung meistern.
Zuerst habe ich den anderen Besuchern beim Lösen der Aufgaben zugeschaut. Dann wollte ich es selbst wissen. Ist es denn wirklich so schwer, sich ein paar Begriffe zu merken, wenn man ein wenig abgelenkt ist oder schaffe ich es tatsächlich nicht, sieben Knöpfe zu schließen, nur weil ich Handschuhe trage, die das Tasten ein wenig erschweren?
Aber ganz von vorn: bei der ersten Aufgabe sollte ich Glasmurmeln mit einem Löffel in ein farbig umrahmtes Glas befördern. Auf einem Blatt stand, in farbiger Schrift, zum Beispiel in grün, dass die Murmel im rot umrandeten Glas landen soll. Nicht schwierig? Doch. Ich musste mich total konzentrieren, um die Murmeln im richtigen Glas zu platzieren. Bei der nächsten Aufgabe sollte ich eine Sonne, ein Gesicht und einen Stern malen. Der Haken an der Sache, das Blatt Papier, meine Hand und mein Gezeichnetes habe ich nur in einer gespiegelten Box gesehen. Nun bin ich mir durchaus bewusst, dass ich auch ohne Spiegel keine gute Malerin bin, aber was ich bei dieser Aufgabe zu Stande brachte, war überraschend schlecht.
Zunehmend genervt und zum Teil auch enttäuscht von meinen abgelieferten Ergebnissen, ging ich von Station zu Station. Tapfer legte ich dort unter anderem Karten in der mehr oder weniger richtigen Reihenfolge oder versuchte mir Begriffe zu merken und sie abhängig vom Anfangsbuchstaben anschließend richtig wiederzugeben.
Relativ schnell stieß ich an meine Grenzen, Spaß hatte ich schon bei Station vier keinen mehr und ein Gefühl von Unfähigkeit stellte sich bei mir ein. Zum Glück konnte ich mir zwischen den Stationen immer mal eine Pause gönnen. Da legte ich dann die nervige Brille von Station acht ab, die mein Sehfeld einschränken sollte und konnte ohne Beschwerden mal kurz durchatmen.
Aber dann kam meine letzte und von mir komplett unterschätzte Aufgabe. Ich bekam Handschuhe und eine Schürze. Ziel war es, die Knöpfe der Schürze mit den Handschuhen vorsichtig zu öffnen, die Schürze anzuziehen und anschließend die Knöpfe wieder zu schließen. Danach natürlich die Knöpfe wieder aufknöpfen, die Schürze ausziehen und wieder schließen. Sie glauben mir nicht, wie nervenaufreibend das war! Für mich eine absolute Herausforderung und vor allem eine Geduldsprobe. Nicht nur, dass ich die kleinen Knöpfe kaum durch die Schürzenlöcher schieben konnte, weil ich durch die Handschuhe kein Gefühl in den Fingerspitzen hatte, es hat mir im Ganzen einfach viel zu lange gedauert. Ich wurde ungeduldig, mir wurde immer wärmer und ich hatte zum Schluss einfach überhaupt keine Lust mehr auf diese total banale Friemelarbeit. Am Ende der Aufgabe war ich genervt aber froh, dass ich die Aufgabe nach einer gefühlten Ewigkeit erledigt hatte und nun wieder „normal“ weitermachen konnte.
Menschen mit Demenz haben dieses Glück nicht. Sie bekommen keine Pause von frustrierenden Aufgaben und auch keine Auszeit von ihren multiplen Einschränkungen – ganz im Gegenteil. Nach der Schürze warten die Schnürsenkel und die Haare müssen auch noch gekämmt werden aber wo war gleich noch mal die Bürste oder die Brille oder, oder, oder…? Viele Fragen und kaum Antworten. Das frustriert!!! Das glaube ich jetzt nicht nur, ich weiß es. Weil ich es, wie viele andere Besucher am Aktionstag, selbst erfahren konnte.
Ohne diese Erfahrungen sind die negativen Gefühle von Menschen mit Demenz nur schwer nachvollziehbar. Sie werden ja versorgt, bekommen Essen, Schmerzen oder medizinische Auffälligkeiten werden behandelt. Aber wenn ich mir für mich vorstelle, dass ich vielleicht in 30 oder wenn ich Glück habe, in 35 Jahren ständig auf Hilfe angewiesen bin, ich mich an das Frühstück von vor einer Stunde nicht mehr erinnern kann oder ich jeden Morgen irgendwo aufwache, wo ich noch nie war und mir nichts bekannt vorkommt, dann macht mich das unsicher, vielleicht ängstlich, traurig aber bestimmt hochgradig unzufrieden. Dann bin ich höchst wahrscheinlich nicht mehr die liebe Omi, die ich hoffentlich bis dahin war 😉