Was heißt hier „alt“?

Dr. Stefan Zeller hat einen ganz speziellen Blick auf das Alter. Als Chef unserer Geriatrie und Vorsitzender des Landesverbandes Geriatrie Sachsen setzt er sich seit langem für eine bessere Versorgung hochbetagter Patienten ein.

Dr. Stefan Zeller. Foto: Paul Glaser

Herr Dr. Zeller, Sie sind Geriater, also Altersmediziner. Was genau ist eigentlich Alter? 

Das ist persönlich gesehen sehr individuell. An dem Ausspruch „Man ist so alt wie man sich fühlt“ ist eine ganze Menge dran. Das Altern selbst beginnt ja bereits mit dem Moment der Geburt. Das, was wir als Alterserscheinungen kennen, tritt dann meist erst im höheren Lebensalter  auf. Ob diese einen Krankheitscharakter haben, hängt von den Begleitumständen ab.

Wie meinen Sie das?

Alt ist nicht gleichbedeutend mit krank. Es gibt viele hochbetagte Menschen, die fit, agil und auch gesund sind. Aber mit steigendem Alter nehmen bekanntlich auch die Erkrankungen zu. In der wissenschaftlichen Einteilung des Alters unterscheidet man den älteren Menschen zwischen 60 bis 74 Jahren, den alten Menschen zwischen 75 bis 89 Jahren, den sehr alten Menschen zwischen 90 bis 99 Jahren und den langlebigen Menschen über 100 Jahre. Es gibt eine weitere Einteilung in so genannte junge Alte, das sind Menschen unter 80 Jahren, und alte Alte, das sind Menschen über 80 Jahren. Aber dies dient lediglich zur Orientierung am Lebensalter.

Zusammenfassend kann man sagen: das kalendarische Alter entspricht nicht dem biologischen Alter, denn „Man ist so alt, wie man sich fühlt“.

Wofür braucht man speziell ausgebildete Altersmediziner wie Sie es sind?

Speziell ausgebildete Altersmediziner benötigen wir für unsere Patientinnen und Patienten, die ein hohes Lebensalter erreicht und viele verschiedene Erkrankungen haben, man spricht von Multimorbidität. Die Geriater, in der Regel Fachärzte für Innere Medizin mit der Zusatzbezeichnung Geriatrie, sind keine Spezialisten für die Versorgung eines speziellen Körperorganes oder Systems sondern orientieren sich an einem ganzheitlichen und funktions-orientierten Konzept. Sie sind quasi die Hausärzte in der Klinik. Deshalb ist das Behandlungsteam in der Geriatrie so groß und betrifft nicht nur den ärztlichen und pflegerischen Bereich. Zu unserem Team gehören auch Logopäden, Psychologen, Ergo- und Physiotherapeuten sowie der Sozialdienst. Dieses Team kümmert sich gemeinsam um die Behandlung unserer Patientinnen und Patienten.

Als Vorsitzender des Landesverbandes Geriatrie haben Sie einen speziellen Blick auf die Versorgung alter Menschen. Wie sieht es damit in unserer Region aus?

Im Landkreis Görlitz gibt es derzeit nur das Zentrum für Altersmedizin am Städtischen Klinikum Görlitz mit 40 stationären Betten und 12 Tagesklinischen Plätzen. Der Bedarf für die Region ist jedoch viel höher. Im Rahmen unserer Aufgaben als überregionales Zentrum für Altersmedizin, haben wir Kooperationsverträge mit fast allen anderen Kliniken des Landkreises Görlitz geschlossen. Hier sind wir im engen fachlichen Austausch, wenn es um Fragen der geriatrischen Versorgung der Patienten in unserem Landkreis geht. Der Bedarf nach geriatrischen Kapazitäten ist sicher noch größer, wenn man bedenkt, dass in der Landeshauptstadt Dresden mit der doppelten Einwohnerzahl wie Görlitz, drei große Geriatrische Kliniken und eine große Geriatrische Rehaklinik bestehen.

Dr. Stefan Zeller spricht auf dem Sächsischen Geriatrietag

Was ist nötig, um die Versorgung zu verbessern?

Die Versorgung unserer betagten Patienten im Krankenhaus kann durch viele Schritte verbessert werden.  Dass eine ist der weitere Ausbau der Kooperationen mit den Krankenhäusern des Landkreises, zum anderen die Etablierung einer Identifizierung von Patienten mit einem speziellen geriatrischen Behandlungsbedarf – das so genannte geriatrische Screening. Dieses wird gerade mit unserer Hilfe in den Kliniken Niesky und Zittau etabliert. Weitere Kliniken werden im nächsten Jahr hinzukommen. Außerdem ist ja der Neubau der Geriatrie im Klinikum Görlitz geplant mit einer Erweiterung der Behandlungsplätze. Es stehen dann 60 Betten zur Versorgung zur Verfügung. Dies wird die Situation noch einmal verbessern.

Und was können Sie im Landesverband Geriatrie tun?

Als Landesverband Geriatrie sehen wir uns als Vermittler zwischen den Krankenhäusern und der Politik und versuchen, gemeinsam Lösungswege für eine noch optimalere Versorgung der Bevölkerung zu finden. Deshalb stehen wir in sehr engen Kontakt mit dem Sächsischen Ministerium für Soziales und Verbraucherschutz, der Krankenhausgesellschaft, den Krankenkassen, der Ärztekammer und den Mitgliedseinrichtungen.

Im Krankenhaus hat man als Geriater oft mit schwerkranken, mehrfach erkrankten Patientinnen und Patienten zu tun. Wie belastend ist das? Kommt man da nicht oft an seine Grenzen?

Die Patienten, die in der Akutgeriatrie stationär aufgenommen werden müssen, sind oft schwer krank und haben viele verschiedene Erkrankungen. Leider können wir nicht jedem Patienten helfen, wir versuchen aber bei jedem die Lebensqualität zu erhalten oder zu verbessern, Schmerzen und Ängste zu nehmen und uns um die weitere Versorgung dieser Patienten zu kümmern. Natürlich geht uns das auch Nahe, doch es ist unsere Berufung und unsere Verantwortung, für die Patienten auch in den schwierigsten Situationen da zu sein.

Wie lange bleiben die Patienten im Durchschnitt stationär?

Die Behandlung unserer Patienten schwankt je nachdem, wie schwer erkrankt sie sind und ob sie entlassungsfähig sind, zwischen zwei und vier Wochen.

Was passiert im Anschluss an die stationäre Versorgung?

Das optimale Ziel nach einer Behandlung in der Geriatrie, ist die Entlassung in die Häuslichkeit mit einer größtmöglichen Selbstständigkeit. Dies ist aber nicht immer möglich. Weitere Optionen sind die Verlegung in eine Rehabilitationseinrichtung, die überbrückende Unterbringung in einer Kurzzeitpflege oder aber auch die Versorgung in einer Pflegeeinrichtung

Woran erkennt man gute Qualität in der Geriatrie?

Gute Qualität in der Geriatrie erkennt man zum einen an der Patientenzufriedenheit, zum anderen auch an den offiziellen Zulassungen als Geriatrie durch das Land Sachsen und die Krankenkassen. Das betrifft die Aufnahme im Bundesverband Geriatrie, welches die Trägerorganisation aller geriatrischen Einrichtungen in Deutschland ist. Hierfür sind spezielle Qualitätsanforderungen zu erfüllen, die auch überprüft werden. Des Weiteren gibt es eine Besonderheit, das Qualitätssiegel Geriatrie. Es handelt sich hierbei um eine Zertifizierung nach den Kriterien der Geriatrie, damit auch eine qualitativ hochwertige geriatrische Versorgung der Patienten angeboten werden kann. Wir sind seit vielen Jahren Mitglied im Bundesverband Geriatrie und haben seit 2016 das Qualitätssiegel  Geriatrie, dass alle drei Jahre mit einer Rezertifizierung wieder neu erlangt werden muss.

Was zeichnet die Geriatrie im Klinikum Görlitz aus?

Unsere Geriatrie ist die einzige geriatrische Einrichtung im Landkreis Görlitz und hat durch die Ausweisung als Zentrum für Altersmedizin eine besondere Bedeutung für den Landkreis und über den Landkreis hinaus. Wir haben mit dem Klinikum Görlitz als Schwerpunktkrankenhaus fast alle medizinischen Fachdisziplinen an einem Standort. Das bedeutet, wir können unsere Patienten fachübergreifend an einem Ort versorgen. Das  Klinikum ist darüber hinaus demenzsensibles Krankenhaus. Das bedeutet, dass wir auch auf den anderen Stationen, in den anderen Kliniken auf die besonderen Bedürfnisse hochbetagter Patient:innen eingehen können. Zum Beispiel mit speziell geschultem Personal, den Demenzbeauftragten sowie einer Koordinatorin für Menschen mit Demenz. Ich selbst sehe es zudem als besondere Auszeichnung, zum Vorsitzenden des Landesverbandes Geriatrie gewählt worden zu sein. Seit vielen Jahren habe ich mich sozusagen mit Leib und Seele der Geriatrie verschrieben. Ich bin daher sehr stolz, als Vertreter die geriatrischen Einrichtungen Sachsens bei den Krankenkassen, der Politik und bei der sächsischen Ärztekammer zu repräsentieren und eine starke Stimme für Verbesserungen in der Geriatrie zu haben.

Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Freuen Sie sich darauf, „alt“ zu werden?

Entscheidend ist auch für mich „Man ist so alt, wie man sich fühlt“. Und ja – ich habe keine Angst vor dem „Alt“ werden.

Das Altern beginnt schon ab dem Moment der Geburt. Wie man alt wird ist ganz unterschiedlich. Auch bedeutet alt nicht zwangsweise krank.