
Es war ein gewöhnlicher Vormittag in unserem Verwaltungsgebäude. Ich war gerade auf dem Weg zu meinem Büro als ein lautes Poltern im Treppenhaus die geschäftige Stille unterbrach. Mein Puls schnellte in die Höhe. Noch bevor ich wusste, was passiert war, ahnte ich nichts Gutes. Nach einer Schrecksekunde lief ich zurück und sah einen Mitarbeiter bäuchlings auf der Treppe liegen: die Füße oben auf den mittleren Stufen, der Kopf unten am Treppenende. Er bewegte sich nicht. Ich lief hin und sah, wie sich unter seinem Kopf langsam eine Blutlache bildete. Ich war wie erstarrt.
Nach einem kurzen Moment, der mir wie eine Ewigkeit vorkam, schrie ich so laut ich konnte um Hilfe. Die Türen gingen auf und die Kollegen liefen heran. Allen voran meine Chefin. Sie kniete sich ohne zu zögern zu dem Mann hin und sprach ihn an. Er stöhnte, war also irgendwie bei Bewusstsein. Sie redete beruhigend auf ihn ein. Mit Tüchern, die die anderen brachten, deckte sie die Wunde am Kopf ab, während wir den hausinternen Notruf wählten. Das Notfallteam des Klinikums war binnen weniger Minuten da und übernahm: Die Retter prüften die Vitalzeichen, lagerten den Mann um, versorgten die Wunde. Sie fragten mich, wann bzw. wie ich ihn entdeckt habe und ob ich oder jemand anderes vielleicht gesehen hat, wie oder warum der Mann stürzte. Sie sammelten so viele Informationen wie sie konnten, um den Mann so gut es geht weiter versorgen zu können. Nach dem er stabil war, brachten sie ihn in die Notaufnahme…
Das Notfallteam des Klinikums besteht aus Mitarbeitern unseres Intensivmedizinischen Zentrums. Mit komplettem Equipment kommen sie zum Ort des Geschehens: ein voll ausgestatteter Notfallrucksack, Notfallrespirator und High-end-Defibrillator. Im besten Fall haben vor Ort bereits die ersten Erste-Hilfe-Maßnahmen begonnen. „Das Wichtigste für die Ersthelfer ist es, überhaupt anzufangen, also mit ersten Maßnahmen zu beginnen und den Notruf zu tätigen. Die Qualität der Basismaßnahmen entscheidet darüber, ob der Patient Überlebenschancen hat oder nicht“, sagt. Dr. Mark Frank, Leiter der Notaufnahme des Klinikums. Er führt regelmäßig Reanimationsschulungen für die Mitarbeiter durch. Diese sind verpflichtend, denn Notfälle wie ein Schlaganfall, ein Herzinfarkt oder Ähnliches können jedem, jederzeit und überall passieren.


In den Schulungen geht es darum, lebensbedrohliche Situationen zu erkennen und Erstbehandlungsmaßnahmen zu üben. Dafür gibt es neben einem theoretischen Teil auch die Möglichkeit, Herzdruckmassage und Beatmung an Reanimationspuppen zu üben.



Im Klinikum gibt es an neuralgischen Stellen notfallmedizinisches Equipment. „Wir haben dies in den letzten Jahren dahingehend verbessert, dass wir an zahlreichen Stellen medizintechnische Hilfsmittel wie automatische Defibrillatoren (AED) installiert haben“, sagt Dr. Frank. Diese Stellen wurden so ausgewählt, dass der AED im Falle eines Falles innerhalb von drei Minuten zum Patienten gebracht werden kann. Das ist deshalb wichtig, weil Patienten, die beispielsweise umfallen und leblos (pulslos) sind, in etwa 30 bis 40 % der Fälle ein Kammerflimmern haben. Das bedeutet, ihr Herz „zittert/flimmert“, kann aber keinen Puls generieren. Dafür braucht man einen Defibrillator und Zeit spielt eine entscheidende Rolle: „Mit jeder Minute, die ohne Defibrillation bei Kammerflimmern verstreicht, sinkt die Überlebensrate um 10 Prozent.“ Der AED erkennt dies automatisch und gibt den Ersthelfern Anweisungen, wie sie weiter vorgehen sollen (z.B. Anweisung zur Herzdruckmassage).

21 AED und 34 Notfalltaschen befinden sich im Bereich der stationären Versorgung sowie in allen Bereichen mit Publikumsverkehr des Görlitzer Klinikums. Die Taschen sind übersichtlich und gut sortiert ausgestattet, um Basismaßnahmen durchzuführen: Beatmungsmasken, Beatmungsbeutel, Sauerstoffreservoir, einfache Hilfsmittel zur Atemwegssicherung. In den Schulungen lernen die Mitarbeiter den Inhalt dieser Taschen kennen und anzuwenden.
Besonders intensiv werden die Kollegen der Notaufnahme geschult. Mehrfach im Jahr trainieren sie spezielle Notfallsituationen und führen Notfallsimulationen durch. Dabei werden sie richtig in Stress gebracht, damit sie lernen, in Stresssituationen einen klaren Kopf zu bewahren. Rollentausche (Arzt-Schwester) wecken dabei Verständnis für die Situation der Anderen und machen Ressourcen erkennbar. Ähnlich wie in der Luftfahrt wird geübt, wie man im Notfall und im Stress miteinander kommuniziert und im Team gearbeitet wird.
Für Normalsterbliche wie mich sind solche Situationen Stress pur. Da hilft es nur bedingt zu wissen, dass auch Notärzte und Rettungssanitäter nicht frei von Ängsten sind, wie verschiedene Befragungen in Fachkreisen belegen. Die Reanimationsschulungen jedenfalls haben zum Ziel, Wissen aufzufrischen und Ängste abzubauen. Was ich genau mitgenommen habe, wenn ich zu einem Notfall komme, dann
- Prüfe ich als erstes, ob der Patient reagiert und bei Bewusstsein ist
- Rufe ich um Hilfe (vielleicht ist jemand in der Nähe, der mir helfen kann)
- Prüfe ich Lebenzeichen (Atmung?)
- Setze ich oder ein Hinzugekommener den Notruf ab
- Beginne ich mit der Herzdruckmassage und Beatmung im Verhältnis 30:2 (30 mal drücken, 2x beatmen) und schicke jemanden, den Defibrillator holen
- Ich (oder ein Mithelfer) schalte den Defibrillator ein, klebe die Pads auf die Brust und folge den Anweisungen auf dem Bildschirm bzw. den Ansagen des Defis.
Solange das Rettungsteam noch nicht da und der Patient noch nicht wieder aufgewacht ist, gilt es, mit der Wiederbelebung fortzufahren und zwar mit so wenig Pausen wie möglich. Im Kopf hilft es, bei der Herzdruckmassage den alten Ohrwurm „Staying alive“ vor sich hinzusingen, denn genau im Rhythmus dieses Liedes gelingt die ideale Herzdruckmassage.
Auch nach dem Kurs bin ich rückblickend noch immer fassungslos über meine Erstarrung damals im Verwaltungsgebäude. Ich hatte das Gefühl, Ewigkeiten nichts getan zu haben. Warum hatte ich den gestürzten Mann im Treppenhaus nicht selbst angesprochen? Warum hatte ich nicht selbst geschaut, ob er atmet und bei Bewusstsein ist? In diesem Moment konnte ich „nur“ um Hilfe rufen. Doch dieser lebensrettende Hilferuf war – wie ich in der Schulung gelernt habe – Bestandteil der Rettungskette.
Hätte ich es nicht getan, wären die anderen nicht so schnell da gewesen. Regelmäßige Schulungen helfen, Angst abzubauen, sich sicherer und vorbereiteter zu fühlen.
Der gestürzte Mitarbeiter ist Übrigens wieder wohlauf.