Es war knapp. Schon seit einer Weile ging es Bianca Twupack zunehmend schlechter. Ihr krankes Herz setzte immer wieder aus. Es hat gemacht, was es wollte. Mal schlug es zu schnell, dann zu langsam, dann für einen Moment gar nicht. Bianca konnte das nicht nur spüren, sondern auch hören, denn sie hatte eine künstliche Klappe in ihrem Herzen. Am Abend des 6. Februar 2019 sprach die damals 31-Jährige lange mit ihrem Freund, mit dem sie gemeinsam in einer Wohnung in Leipzig lebt. Sie spürte, dass es so nicht mehr weiter gehen wird, denn ihre Herzprobleme nahmen zu und ihre Leistungsfähigkeit stark ab. Treppensteigen, Reden, beinahe jeder alltägliche Handgriff war mittlerweile eine Riesenanstrengung. „Es ging mir nicht gut und ich rechnete damit, dass ich nicht mehr lange zu Hause leben kann, sondern ins Krankenhaus muss.“
Seit mehr als 780 Tagen auf der Warteliste
Zu diesem Zeitpunkt stand Bianca Twupack seit mehr als 784 Tagen auf der Transplantationsliste für ein Spenderherz. Das Telefon trug sie in der Hoffnung auf den erlösenden Anruf aus dem Krankenhaus immer bei sich. „Ich wusste, dass dieser rettende Anruf mit einem schlimmen Moment für jemand anderen und dessen Familie einhergehen wird.“ Doch eine Organspende war ihre einzige Chance.
Mehr als ein Viertel ihres Herzens aus Metall
Den Tumor in Biancas Herzen entdeckten die Kardiologen im Städtischen Klinikum in ihrer Heimatstadt Görlitz am 17. Dezember 2015. „Bis zu diesem Tag hatte ich ein normales Leben. Ich war stolz auf mein gerade abgeschlossenes Studium der Heilpädagogik und machte Pläne für die Zukunft“, sagt Bianca Twupack heute. Die Diagnose veränderte alles. Der Hubschrauber flog sie ins Herzzentrum nach Dresden. Der extrem seltene Tumor hatte enorme Ausmaße und viele Untersuchungen folgten. Das Krankenhaus wurde zu Biancas zweitem Zuhause. Glücklicherweise stellten die Ärzte fest, dass der Tumor gutartig war. Operiert werden musste dennoch. Anfang 2016 entfernten Spezialisten einer Klinik in Bad Oeynhausen in Nordrhein-Westfahlen den Tumor. „Er war ein Stück ins Herz eingewachsen und deshalb musste dieses Stück mit herausgenommen werden“, sagt Bianca Twupack. (Eine künstliche Klappe ersetzte die Funktion.) Es folgte eine Kettenreaktion, da sich das Herz vergrößerte, sodass weitere Operationen nötig waren und ihr Herz danach mehr als ein Viertel aus Metall bestand.
6:30 Uhr klingelt das Telefon – Ein Herz!
Das alles ist am Abend des 6. Februar 2019 mehr als zwei Jahre her, als ihr klar wurde, dass sie es nicht mehr lange durchhält. Am nächsten Morgen, 6:30 Uhr, reißt sie ihr Telefon aus dem Schlaf. Die Ärztin aus dem Krankenhaus ist dran und sagt, es gibt ein Spenderherz. „Es ist gar nicht leicht zu beschreiben, was da in mir vorgegangen ist. Ich hatte im Vergleich zu anderen ja viel Zeit mich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen“, sagt Bianca Twupack. Sie selbst hatte schon lange vor ihrer eigenen Diagnose den Entschluss gefasst, ihre Organe nach ihrem Tod zu spenden. Den entsprechenden Ausweis hatte sie seither immer dabei.
Und nun kam der erlösende Anruf für sie selbst. Der Rettungswagen, der sie abholen sollte, klingelte jedoch an der falschen Adresse. „Sie hatten im System noch meine alte Heimatadresse in Görlitz stehen und fuhren deswegen dort hin“, sagt Bianca – heute kann sie darüber lächeln. An diesem Morgen des 7. Februars 2019 aber ging sie mit ihrer Tasche zu Fuß in die Klinik in Leipzig hinüber. Das Angebot ihres Freundes, sie zu fahren, lehnte sie ab. Sie wollte und brauchte diesen Moment für sich. „Die Sonne schien und ich werde mich immer an dieses Morgenrot erinnern.“
„Ich hatte ein gutes Gefühl“
Die Vorbereitungen im Krankenhaus dauerten sehr lange. Ihr selbst wurden mehrere Zugänge gelegt und dann hieß es: Warten auf das Spenderherz. Dieses musste erst von den Ärzten aus dem anderen Krankenhaus geholt werden und noch stand nicht fest, ob es in Ordnung war. „Ich war nicht aufgeregt. Ich hatte ein gutes Gefühl und war sehr zuversichtlich. Dabei half mir immer auch mein Glaube. Gott hat für mich den Weg vorgesehen und irgendwas mit mir in Zukunft vor.“ Den Hubschrauber, der ihr neues Herz brachte, hörte sie noch kommen, bevor die Narkose wirkte und sie einschlief….
Vor wenigen Wochen hat Bianca Twupack gemeinsam mit ihrer Familie in Erinnerung und Dankbarkeit an ihre Spenderin am Fuße der Landeskrone in Görlitz einen Baum gepflanzt. Das ist, was sie weiß: Es handelte sich um eine Spenderin und sie war jünger als sie selbst.
Nie ein unbeschwertes Leben führen
Mit der Hilfe ihrer Familie und ihres Lebensgefährten meisterte Bianca Twupack seither viele Etappen. „Ich hatte nach der Transplantation Startschwierigkeiten und auch eine heftige Abstoßungsreaktion.“ Doch es entwickelte sich alles zum Guten. Sie kann wandern gehen, Fahrrad fahren, sie war sogar schon einmal Schlittschuh laufen und im Herbst steht die Hochzeit an. „Ich bin zutiefst dankbar. Ich habe durch das neue Herz die Möglichkeit bekommen, in mir Zukunftspläne reifen zu lassen und ich wünsche mir, dass meine Spenderin und ich gemeinsam ein ganz neues Herz erwachsen lassen können.“
Doch ein ganz unbeschwertes Leben wird sie nie führen können. Sie braucht lebenslang Medikamente, damit ihr Körper das Herz nicht abstößt. Wenn alles gut läuft, kann sie 25-30 Jahre mit dem Herzen leben, bevor sie vermutlich erneut vor einer Entscheidung steht…
Organspende – Zahlen & Fakten
Etwa 9.200 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. 2020 gab es bundesweit 913 Spender:innen, die 2.941 Organe spendeten. Trotz der Coronapandemie ist die Zahl der Organspender:innen damit ungefähr auf dem Stand vom Vorjahr (932) geblieben. Das Städtische Klinikum Görlitz wurde 2005 und 2017 von der Deutschen Stiftung Organtransplantation für sein Engagement in der Organspende ausgezeichnet. Jährlich gibt es hier ca. 3 Spender:innen. In 2021 sind es bisher zwei Spender:innen. Diese Ehrung ist verbunden mit jahrelanger kontinuierlicher und zielstrebiger Arbeit, mit entsprechenden Strukturen und Prozessen. Das Klinikum Görlitz hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren.
Alle Infos rund um die Organspende gibt es hier:
https://www.organspende-info.de/zahlen-und-fakten/einstellungen-und-wissen.html