Von Zeit zu Zeit überlegt jeder mal, ob er die Tür wirklich abgeschlossen hat, wo das Telefon liegt oder um wie viel Uhr der Friseurtermin war. Das hat aber noch nicht viel mit Demenz zu tun. Vergesslichkeit bezieht sich auf einzelne Details, die im Moment nicht erinnert werden können. Bei einer Demenzerkrankung vergessen die Patienten ganze Vorgänge und Abläufe.
Ihnen fällt es immer schwerer, alltägliche Dinge zu erledigen und sich in ihrem eigentlich bekannten Umfeld zu orientieren.
In Deutschland leiden derzeit etwa 1,6 Millionen Menschen an einer Demenz – Tendenz steigend. Denn mit zunehmender Lebenserwartung erhöht sich auch das Risiko, an einer Demenz zu erkranken. So sind in der Gruppe der 65- bis 69-Jährigen weniger als zwei Prozent betroffen, während bei den über 90-Jährigen etwa 40 Prozent an einer Demenz leiden.
Um den zukünftigen Herausforderungen im Umgang mit dementen Patienten gewachsen zu sein, wird Mechthild Guthke ab dem 3. September 2018 die Arbeit als Pflegeexpertin für demente Patienten aufnehmen. Ich habe nachgefragt, was bei der Behandlung von dementen Patienten berücksichtigt werden muss, was heute schon am Klinikum Görlitz für demente Patienten getan wird, und wie die pflegerische Versorgung verbessert werden kann.
Frau Guthke, Sie sind ab 3. September die Pflegeexpertin für demente Patienten am Klinikum. Bisher arbeiteten Sie als Leiterin der Demenzbeauftragten und kennen sich daher gut mit dementen Patienten aus. Was muss bei der Behandlung von Patienten, die an einer Demenz leiden, beachtet werden?
Ein Aufenthalt im Krankenhaus ist für die meisten Patienten eine ungewohnte Situation. Fast alles ist anders als im vertrauten und privaten Umfeld. Der Alltag in modernen Krankenhäusern ist primär auf kooperative und verständige Patienten ausgerichtet. Sie akzeptieren, dass die Abläufe vom morgendlichen Wecken bis hin zur Körperpflege, den festgelegten Visiten- und Essenszeiten folgen und von ihrem normalen Alltag abweichen. Menschen mit einer Demenz, können das nur sehr schwer oder gar nicht verstehen. Sie brauchen eine besondere Betreuung. Die Begleitung von Menschen mit dieser Erkrankung benötigt sehr viel Geduld, Flexibilität und deutlich mehr Zeit. Das ist im Stationsalltag oft schwer zu bewältigen. Patienten können Angst haben, Abwehrverhalten zeigen, Fluchtimpulse entwickeln oder genau das Gegenteil, nämlich sehr anhänglich werden.
Das Städtische Klinikum Görlitz hat sich auf die medizinische und pflegerische Versorgung von Patienten mit Demenz besonders eingestellt. Was ist bis jetzt schon erreicht worden?
Seit vielen Jahren schule ich die Kolleginnen und Kollegen auf Station zu den Grundlagen einer Demenzerkrankung. Neben dem medizinischen Basiswissen spielt bei den Schulungen aber auch das Thema Kommunikation mit den Patienten oder wie das Essen für demente Patienten zubereitet und gereicht werden soll eine große Rolle.
Nicht zu vergessen sind die Angehörigen von Patienten mit einer Demenzerkrankung. In den schon erwähnten Schulungen bitte ich meine Kolleginnen und Kollegen stets um Verständnis für die Angehörigen aber auch um Würdigung der von ihnen bisher geleisteten Arbeit und um das Einbeziehen der Angehörigen. Ihre Erfahrungen sind für die Betreuung und die Versorgung der Patienten im Klinikum sehr wichtig. Sie sind die Experten für den jeweiligen Betroffenen und nur sie kennen die Gewohnheiten, Vorlieben und Abneigungen.
Im Rahmen des „Konzeptes zur Verbesserung der Versorgung von Patienten mit Demenz“ wurden in allen stationären Bereichen insgesamt 34 geschulte Demenzbeauftragte eingesetzt. Mit ihnen treffe ich mich regelmäßig und alle erhalten eine Fortbildung zum Thema Validation, eine spezielle Kommunikationsform. Die auf Station eingesetzten Demenzbeauftragten geben ihr Wissen an das Stationsteam weiter, damit auf die Besonderheiten der dementen Patienten bei der Behandlung im Klinikum speziell eingegangen werden kann.
Darüber hinaus stellen wir als Demenzbeauftragte Beschäftigungsmaterialien für die Patienten mit Demenz zur Verfügung. Hierbei gab es viele fleißige Helfer, die auch kleine Kissen und Kuscheltücher zur Beruhigung oder zur Ablenkung nähten.
Oft haben die Patienten Schwierigkeiten, ihre Zimmer zu finden. Um ihnen bei der Orientierung zu helfen, haben wir zum Beispiel die Türen der Patientenzimmer auf der Geriatrie-Station mit einfachen Bildern versehen. Eine neuere Variante dazu befindet sich auf der B3-Station (Neurologische Station). Hier hängt das gleiche Bild sowohl an der Tür als auch noch einmal im Zimmer, was den örtlichen Bezug verstärkt.
Um den Patienten mit einer Demenzerkrankung mehr Sicherheit zu geben, besteht die Möglichkeit, dass ein Angehöriger des Demenzpatienten für die Zeit im Klinikum mit aufgenommen wird. Das nennt sich Rooming-in und wird in Absprache mit dem Case Management schon vor dem Stationsaufenthalt koordiniert.
Neben den Maßnahmen für die Patienten, war mir die Erstellung eines Standards wichtig. Er dient als Handlungsrichtlinie und als Informationsquelle für die Pflegekräfte.
Das ist ja schon eine ganze Menge! Haben Sie denn noch Pläne für die Zukunft? Was wollen Sie für die dementen Patienten noch erreichen?
(lacht) Ich würde mich freuen, wenn demnächst auch andere Berufsgruppen zu den Weiterbildungen und Schulungen kämen. Bisher sehe ich vorrangig das Pflegepersonal und MTA´s (Medizinisch Technische Radiologieassistenten). Ein Therapiegarten für unsere dementen Patienten wäre auch sehr schön. Hier könnten sie riechen, fühlen, schmecken und damit ihre Sinne anregen. Auch bei der räumlichen Ausstattung haben wir noch Luft nach oben. In einem weißen Bad, mit weißen Fliesen, einer weißen Toilette, mit weißer Toilettenbrille und weißem Toilettenpapierhalter fällt einem dementen Patienten die Orientierung schwer. Die Flächen verschwimmen ineinander. Besser geeignet sind starke Kontraste, beispielsweise eine grüne Toilettenbrille oder ein orangener Toilettenpapierhalter. Zusätzlich sehe ich bei den organisatorischen Abläufen Potenzial. Ich werde mich dafür einsetzen, dass bei der Aufnahme von Patienten auch erhoben wird, ob der Patient kognitiv eingeschränkt ist. Wäre eine kognitive Einschränkung in der Patientenakte notiert, könnten die Schwestern und Pfleger auf Station von Anfang an entsprechend auf den Patienten eingehen und ihn besser verstehen und bestimmte Vorkehrungen treffen.
Welche Aufgaben kommen im Rahmen Ihrer neuen Stelle auf Sie zu?
Mit meiner neuen Stelle habe ich bessere Voraussetzungen und mehr Zeit, Projekte zum Thema Demenz zu initialisieren. Zusätzlich werde ich das bestehende „Konzept zur Verbesserung der Versorgung von Patienten mit Demenz“ erweitern und konkretisieren. Bei der Arbeit auf Station begleite ich unsere Demenzbeauftragten sowie Schwestern und Pfleger im Umgang mit den dementen Patienten. So bin ich Ansprechpartnerin, wenn es beispielsweise Probleme bei der Körperpflege gibt oder ein Patient die Essensaufnahme verweigert. Das bedeutet nicht immer, dass er nichts essen möchte. Vielleicht möchte der Patient auch zum Ausdruck bringen, dass er mit der aktuellen Situation, ganz unabhängig vom Essen selbst, nicht einverstanden ist. In solchen Fällen versuche ich, gemeinsam mit dem Stationspersonal auf den Patienten einzugehen und ihn an „seiner Haltestelle“ abzuholen.
Ihre Ziele und Pläne hören sich sehr vielversprechend an. Ich wünsche Ihnen bei der Umsetzung viel Erfolg und bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch!
ACHTUNG: Vortragshinweis: Am 19.9. spricht Mechthild Guthke über „Kommunikation bei Menschen mit Demenz“. Der Vortrag richtet sich an Betroffene, Angehörige, Interessierte und alle die beruflich oder privat mit Demenz zu tun haben.
Ort: Konferenzraum im Klinikum Görlitz, Beginn 17:30, Eintritt frei.