Seelsorger, Mediziner und Betroffene haben sich vor kurzem im Städtischen Klinikum Görlitz getroffen, um über das Thema Organspende zu reden. Ein solcher übergreifender Erfahrungsaustausch zu ethischen, medizinischen und spirituellen Fragen gab es in dieser Form unseres Wissens zumindest in Ostdeutschland bislang noch nicht. Das Symposium „Ich schenke Dir ein neues….“ wurde organisiert vom Klinikum, dem Evangelischen Kirchenkreis Niederschlesische Oberlausitz, der Sächsischen Landesärztekammer und der Deutschen Stiftung Organspende. Es gab viele bewegende Momente, insbesondere, wenn die Betroffenen über ihre Erfahrungen sprachen. Wir trafen den Medizinischen Direktor des Görlitzer Klinikums, Dr. Eric Hempel, und den Vierkirchener Gemeindepfarrer Andreas Fünfstück im Anschluss zu einem Gespräch:
Herr Dr. Hempel, was können Mediziner von Pfarrern bzw. Seelsorgern zum Thema Organspende lernen?
Dr. Eric Hempel: Das Thema Organspende berührt alle damit – ob beruflich oder privat – konfrontierten Menschen auf ganz vielen unterschiedlichen Ebenen: rational, emotional und spirituell. Ärzte und Pflegekräfte versuchen ihre eigenen Emotionen mit den rein rationalen Aspekten der Arbeit an Patienten zu bewältigen. Dabei bleiben die eigenen, ganz individuellen Gedanken häufig unausgesprochen, insbesondere auf spirituellem Gebiet. Auch dies für mich selbst zu beleuchten und zu erschließen, habe ich beispielsweise erst durch den Kontakt mit Seelsorgern so richtig realisiert.
Und Pfarrer von Medizinern?
Pfarrer Andreas Fünfstück: Keiner kommt an dem Menschen vorbei, um dessen Leben es geht – gerade in Grenzbereichen des Lebens wächst die Hochachtung VOR dem Leben, aber auch vor handwerklichem Können, unglaublicher Fachkenntnis und richtigen Worten oder wohltuenden Berührungen.
Wie kann man Menschen bei einer Entscheidungsfindung pro/ contra Organspende unterstützen?
Dr. Eric Hempel: Am einfachsten erscheint es mir, dass sich jeder Mensch mit einigen wenigen Fragen zum Thema Organspende eine eigene innere Einstellung dazu erarbeitet:
- Ist bei einem Mensch der Hirntod festgestellt, so wird er nie wieder eigenverantwortlich über sich bestimmen können sowie dabei nur noch mittels technischer Hilfe als körperliche Hülle am Funktionieren – nicht am Leben – erhalten werden. Ist es das, was ich mir in meinen eigenen Wertevorstellungen vom Leben wünschen würde?
- Würde ich mir bei einer unheilbaren Erkrankung mit Organausfall bei mir selbst– oder vielleicht noch besser bei meinen liebsten Angehörigen – einen Heilungsversuch mit Hilfe von gespendeten Organen oder Geweben wünschen?
- Wie viel bedeutet mir meine eigene körperliche Unversehrtheit nach meinem Tod im Vergleich zu der Aussicht, dass ich mit meinen gespendeten Organen bzw. Geweben den Kindern von anderen Eltern Hoffnung auf ein neues, besseres Leben geben könnte?
- Wäre ich als Angehöriger, der eine Entscheidung zu einer Organ-/ Gewebespende treffen soll, dazu bereit, den Willen meines Verwandten zu diesem Thema umzusetzen, auch wenn das nicht meinen eigenen Vorstellungen entsprechen würde? Was bedeutet mir das Vermächtnis und Vertrauen dieses Menschen in mich über seinen eigenen Tod hinaus?
Pfarrer Andreas Fünfstück: Da ist nicht viel zu ergänzen. Die meisten Menschen haben zu dem Thema bereits ein inneres Gefühl. Wenn sie sich mit den Fragen nach dem Warum beschäftigen kann das dazu beitragen, eine eigene mutige Entscheidung zu treffen. Dazu gehört auch, sich mit den eigenen Ängsten auseinanderzusetzen und mit dem Partner oder den Kindern zu sprechen.
Warum muss niemand Angst vor einer Organspende haben? (oder stimmt das gar nicht?)
Pfarrer Andreas Fünfstück: Weil nur das gemacht wird, was ich auch selbst zulasse. Ich muss mich aber auch rechtzeitig und vernehmbar dazu äußern und zeitig damit anfangen, darüber nachzudenken
Dr. Eric Hempel: Angst ist ein schlechter Ratgeber und doch akzeptiere ich sie als menschlich nachvollziehbares Gefühl, weil es sie nun einmal gibt. Dabei kann man meistens Gefühle nicht mit Fakten umkehren. Lediglich das Wecken positiver Emotionen, z. B. bei der Beantwortung der oben genannten Fragen, hilft da.
Ein solches Symposium zu medizinisch, ethischen und spirituellen Fragen der Organspende ist außergewöhnlich. Wie empfanden Sie die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Krankenhaus?
Pfarrer Andreas Fünfstück: Als gäbe es sie schon immer. Warum muss sie etwas Besonderes sein und ist nicht einfach selbstverständlich?
Dr. Eric Hempel: Als selbstverständlich, ohne jeden Vorbehalt, wie eingespielt wirkend. Vielleicht auch, weil wir bei uns am Krankenhaus die Seelsorge als originären Bestandteil der Arbeit mit Patienten, Angehörigen und auch Mitarbeitern ansehen.
Was nehmen Sie am Schluss mit auf den Weg?
Pfarrer Andreas Fünfstück: Riesiges Staunen über die Menschen, die in Grenzsituationen gehandelt haben, sich entscheiden mussten und gelitten und gekämpft und auch oft verloren haben, aber immer wieder auch Sieger sind … und dann so stolz und beneidenswert dankbar. Schade, dass die Lokalpresse nicht realisiert hat, was da neben der Eröffnung eines Einkaufcenters, Marathon und Toten Hosen am letzten Wochenende noch spendiert wurde an Lebenswillen.
Dr. Eric Hempel: Zusammenarbeit so fortsetzen, Symposium zum gleichen oder auch anderen Thema wiederholen, Menschen gemeinsam genau dort begegnen wo sie sind.
Die Auswertung der Fragebögen das Symposiums bestätigte das große Interesse an der Thematik insbesondere bei denjenigen, die einen beruflichen oder persönlichen Bezug dazu haben. Hier ein paar Fotoimpressionen von der Veranstaltung.