Neulich im Auto. Im Radio läuft das Lied „Musik nur, wenn sie laut ist“ von Herbert Grönemeyer. Meine Kinder lauschen aufmerksam dem Text – ist bei Herbert ja schwer genug. „Mama wie meint der das, dass sie Musik nur mag, wenn sie ihr in den Magen fährt?“ kommt prompt von der Rückbank. Gute Frage. Mir geht es oft auch so, aber das hat nichts mit meinem Hörvermögen zu tun. Zum Glück.
„Sie ist taub“, beginne ich zu erklären. „Sie kann die Musik nicht hören aber sie kann sie spüren.“ Während meine Kinder sich damit zufrieden geben, beginne ich darüber nachzudenken, wie gut es ist, zu hören. Ich bin in meinem Leben selbst Menschen begegnet, die taub sind, nie etwas gehört haben, dennoch ein erfülltes Leben trotz aller Schwierigkeiten meistern. Die Möglichkeiten moderner Medizin waren ihnen nicht vergönnt, doch sie sind bzw. waren zu Lebzeiten glücklich. Heute gibt es medizinisch die verschiedensten Behandlungsformen, um dem Hörvermögen auf die Sprünge zu helfen. Auch wenn längst nicht alles heilbar ist, die Medizin macht enorme Fortschritte.
Doch was ist, wenn man ein Geräusch in sich trägt, das man nicht abschalten kann? Ein Ton – ein Summen, ein Piepen, ein Pfeifen – ein Ton, der immer da ist? Egal ob im Kino, in der Badewanne, im Büro, im Flugzeug, nachts, tagsüber, im Winter, im Sommer…. Die Ursachen für einen so genannten Tinnitus sind nicht völlig geklärt. Er kann infolge eines Traumas (zum Beispiel eine permanente oder kurzfristige starke Lärmbelastung) auftreten, durch viel Stress im Job oder aber auch ohne einen eindeutig zu identifizierenden Auslöser.
Dr. Axel Geide, Chefarzt unserer Hals-Nasen-Ohrenklinik erklärt, dass der Tinnitus durch verschiedene Faktoren und Auslöser getriggert (also verstärkt oder initiiert) wird. Und er weiß, wovon er spricht – nicht nur auf Grund seines Berufes. Nein, er ist selbst betroffen. Seit 5 Jahren lebt er mit seinem eigenen Tinnitus. Und damit ist er nicht allein. Deutschlandweit leiden nach Angaben der Deutschen Tinnitus-Liga fast drei Millionen Menschen an einem dauerhaften Ohrgeräusch. Auch international bekannte Stars wie Sting, Phil Collins, Ozzy Osborne, U2 Frontmann Bono, Schauspielerin Barbara Streisand und Schauspieler Keanu Reeves gehören zu den Betroffenen.
Dr. Geide sagt: „Mein Tinnitus ist halt da, er gehört dazu. Ich habe ihn akzeptiert und gelernt, damit umzugehen“, sagt er. Was hier einerseits toll klingt, ist andererseits niederschmetternd – bedeutet es doch, dass selbst der HNO-Arzt kein Heilmittel kennt. Oder gibt es doch Chancen?
„Bei einem akuten Tinnitus hat man gute Chancen, wenn man ihn frühzeitig behandelt. Vor allem im ersten Jahr der Therapie“, sagt Dr. Geide. Etwa 70% der Betroffenen könnten ihn vollständig wieder los werden. Dabei werden verschiedene Medikamente eingesetzt, die die Durchblutung fördern. Doch wenn der Tinnitus chronisch geworden ist, dann bleibt meist nur, sich mit ihm zu arrangieren. So wie es Dr. Geide macht. Hier können Entspannungstechniken und Verhaltenstherapien helfen, die Wahrnehmung so zu verändern, dass das Ohrgeräusch nicht mehr als störend empfunden wird. Die Linderung liegt hierbei also nicht so sehr im Ohr sondern vielmehr im Gehirn. Es gibt auch Therapieformen, die lästige Ohrgeräusche mit einem angenehmen Ton überlagern, aber auch diese Therapien können nicht an der Ursache ansetzen.
Ich bin froh, dass ich nichts mit den Ohren habe. Bei meinen Kindern zweifle ich da manchmal – vor allem, wenn es ums Aufräumen geht, aber ich glaube, das kennen die meisten 😉
Vortrag „Hörsturz & Tinnitus. Stille und nervige Geräusche“, 7. Februar 2018, 17:30 KIII, Städtisches Klinikum Görlitz, Girbigsdorfer Str. 1 – 3. Mit dabei ist die Görlitzer Selbsthilfegruppe Tinnitis/Hörsturz und stellt sich vor.