
Dr. Steffen Handstein spricht über Möglichkeiten und Entscheidungswege

Welche Möglichkeiten der Brustrekonstruktion bieten Sie aktuell nach einer Brustkrebsoperation an?
Es gibt die Möglichkeit, direkt im Rahmen der onkologischen Operation eine Brustrekonstruktion durchzuführen, so wie auch im Anschluss an eine onkologisch abgeschlossene Therapie (also nach OP, Chemo, Bestrahlung). Die Brustrekonstruktion bzw. Wiederherstellung der Brustkontur kann durch eine Prothese (Implantat) der zu entfernenden Brustdrüse (Mastektomie) erfolgen – in Anlehnung an die natürliche Brustgröße und -form. Nach einer Ablatio (Amputation) ist die Vordehnung der eigenen Haut zu einem Hautmantel für das spätere Implantat erforderlich. Das erfolgt mittels Gewebeexpander. Sowohl die Brustdrüse als auch fehlende Haut kann durch eine Eigengewebsrekonstruktion ersetzt werden, z. B. durch freie mikrochirurgisch Verpflanzung von Haut-Fett-Gewebe vom Unterbauch, Gesäß oder Oberschenkeln. Wenn die eigene Brusthaut erhalten bleiben kann, bleibt auch Sensibilität erhalten.
Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen einer Rekonstruktion mit Eigengewebe und Implantaten?
Ein Implantat ist ein Fremdkörper. Es benötigt einen ausreichend stabilen Hautmantel und eine gute Wundheilung der Operationsnarben. Um das Implantat kann der Körper eine Kapsel bilden, die möglicherweise schmerzhaft wird oder zur Verformung der Brust führt. Körpereigenes Fettgewebe fühlt sich natürlicher an und erlaubt meist eine bessere, weil individuellere Formung der Brust. Es besteht auch kein Risiko, dass es später noch einmal ausgetauscht werden müsste. Bei einer Eigengewebsrekonstruktion ist jedoch auch eine zweite Körperregion in die Behandlung involviert, auch dort gibt es dann eine OP-Narbe, äußerliche Veränderungen, körperliche Symptome.
Werden Rekonstruktionen im Rahmen der Brustkrebsbehandlungen auch von den Kassen übernommen?
Ja, die Brustrekonstruktion ist auch Bestandteil der onkologischen Behandlung. Sie ist in der Leitlinie verankert (Kapitel 4 Operative Therapie)
4.44 „Es sollen alle entsprechenden Patientinnen mit oder ohne vorausgegangene primäre Systemtherapie über die Möglichkeit der brusterhaltenden Therapie (BET) und der Mastektomie mit der Option einer primären oder sekundären Rekonstruktion aufgeklärt werden.“
4.49 „Jede Patientin, bei der eine Mastektomie durchgeführt wird, soll über die Möglichkeit einer sofortigen oder späteren Brustrekonstruktion bzw. den Verzicht auf rekonstruktive Maßnahmen aufgeklärt werden; dabei sollte ein Kontakt zu Betroffenen bzw. Selbsthilfegruppen oder Selbsthilfeorganisationen angeboten werden“
Wann ist der beste Zeitpunkt für eine Brustrekonstruktion – während, unmittelbar nach der Operation oder zu einem späteren Zeitpunkt? Welche Faktoren beeinflussen diese Entscheidung?
Das ist absolut individuell und abhängig von der Tumorbiologie, der Tumorgröße und -lokalisation im Verhältnis zu Brustgröße und -form, den zu erwartenden, sich anschließenden Therapien, den voran gegangenen Therapien und vor allem der Patientin selbst und ihrem Körperbewusstsein.
Wie wichtig ist es, neben dem medizinischen auch den ästhetischen Aspekt zu berücksichtigen?
Absolut. Dabei unterscheiden sich durchaus das ästhetische Empfinden der Patientin zu dem der behandelnden Ärzte. Ästhetik heißt in diesem Kontext vor allem auch ein sich annehmen können mit einem veränderten Körperbild durch die operative Behandlung von Brustkrebs. Frauen sind von Natur aus identifiziert mit ihren Brüsten als äußere Geschlechtsmerkmale.
Wie und zu welchem Zeitpunkt der Behandlung werden die Patientinnen bei der Wahl der passenden Methode zur Brustrekonstruktion beraten?
In unserem Brustzentrum haben wir den Vorteil über alle akutell gängigen Methoden der Operation nicht nur technisch aufklären zu können, sondern wir führen sie seit über 20 Jahren sämtlich routinemäßig durch. Das ist durchaus nicht in allen Brustzentren Standard.
Von Beginn an werden bei uns in der Aufklärung zu den Optionen der operativen Verfahren als auch den medikamentösen und strahlentherapeutischen Therapieschritten der Brustkrebsbehandlung, die wiederherstellenden Alternativen mit deren Vor- und Nachteilen, den OP-spezifischen Unterschieden und dies im Kontext mit den ganz persönlichen körperlichen Gegebenheit mit besprochen.
Welche Rolle spielt die Aufklärung über Risiken und postoperativen Erwartungen in diesem Prozess?
Patientinnen müssen über die möglichen operativen Risiken, das Auftreten von Wundheilungsstörungen oder Abstoßungsreaktionen umfassend aufgeklärt sein. Trotz aller technischer Möglichkeiten, der Erfahrung der Operateure und durchgeführter standardisierter Vorsichtsmaßnahmen sind Komplikationen möglich, die ein hohes Maß an Geduld von den Patientinnen fordern. Auch über das möglicherweise notwendige wieder Entfernen eines Implantats oder eines Austauschs sowie auch ein Gewebeverlust bei transplantiertem Eigengewebe wird aufgeklärt.
Wie beeinflusst eine Brustrekonstruktion das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität der betroffenen Frauen?
Es geht vor allem um den Erhalt der äußerlich sichtbaren Brustkontur und um ein Sich-vollständig-fühlen. Es gibt zwischenzeitlich wissenschaftliche Belege dafür, dass Frauen mit einer rekonstruierten Brust eine bessere mentale Stabilität und Lebensqualität mit ihrer Brustkrebserkrankung beschreiben als Frauen mit einem ästhetisch nicht zufriedenstellendem Erscheinungsbild nach brusterhaltenden Therapie. Und nicht allein das, sie haben auch eine bessere Prognose.
Welche psychologische Unterstützung bekommen die Patientinnen während und nach der Rekonstruktion?
Unabhängig vom OP-Verfahren, ob BET, Ablatio, Mastektomie mit Rekonstruktion erhalten die Patientinnen eine Begleitung durch eine Brustschwester zur Krankheitsannahme und -bewältigung sowie sog.Körperbildarbeit (wie z. B. auch beim Haarverlust durch Chemotherapie), ergotherapeutisches Gespräch zur Integration der Erkrankung in den Alltag und Anleitung zur Narbenpflege, seelsorgerliche oder psychoonkologische Gesprächsangebote.
Welche Erfahrungen haben Sie mit den Erwartungen und Wünschen Ihrer Patientinnen gemacht?
Eine Brustkrebserkrankung ist ein Angriff auf die Weiblichkeit. Das bringt durch die Operation ein Fühlen von Verlust mit sich. Eine Brustkrebsoperation ist etwas äußerst intimes und so verschieden Frauen sind, ist auch ihr Umgang mit dem eigenen Körper. Durch die Erkrankung kann sich dieser auch radikal verändern. Manchen Frauen fällt es schwerer als sie vor der Operation dachten, die neue Brustform oder das neue Brustgefühl anzunehmen. Wir können nicht so operieren, dass man es der nackten Brust nicht ansieht. Eine Brustkrebsoperation ist auch nicht mit einer ästhetischen Brustoperation vergleichbar. Manchmal kann ein zufriedenstellendes Ergebnis erst nach mehreren Korrekturoperationen erreicht werden.
Welche Entwicklungen in der Brustrekonstruktion erwarten Sie in den kommenden Jahren?
Wir bieten schon jetzt die Kombination von sekundärer Brustrekonstruktion und Lymphbahn- bzw. Lymphknotentransplantation bei therapiebedingtem Lymphödem an. Ein komplexes Herangehen beim Lösen von komplexen Problemsituationen wird auch in Zukunft Frauen die Chance bieten, sich nach abgeschlossener Krebstherapie für rekonstruktive Verfahren zu entscheiden – das Wiederherstellen einer Brustkontur ebenso wie die Rekonstruktion von geschädigten Lymphbahnen, durch z. B. eine operationsbedingte Lymphabflussstörung in den Arm.
Sehen Sie neue Techniken oder Innovationen, die den betroffenen Frauen noch bessere Möglichkeiten bieten könnten?
Die Entwicklung von Technik und Methodik, die Fertig- und Fähigkeiten der Operateure werden weiterhin darauf ausgerichtet sein, mögliche Komplikationen, Begleiterscheinungen und potenzielle Risiken im Zusammenhang mit den Operationen zu mindern, z. B. bei den sogenannten Hebedefekten, also den Beschwerden, die durch das Wegnehmen von körpereigenem Gewebe an anderer Körperstelle entstehen können.
Was möchten Sie Frauen, die vor der Entscheidung stehen, eine Brustrekonstruktion in Betracht zu ziehen, mit auf den Weg geben?
Hauptaugenmerk muss die Behandlung des Brustkrebs sein und dass alle dafür nötigen Behandlungsschritte erfolgen. Dafür werden individuelle Behandlungskonzepte gemeinsam unter Berücksichtigung der tumorbezogenen Eigenschaften und der persönlichen Gegebenheiten erstellt. Ja aufgeklärter sich die Frauen fühlen und sich über die Chancen und Risiken der vorgeschlagenen Optionen im Klaren sind, um so besser können sie eine Entscheidung (selbst-)verantwortungsbewusst treffen und die Behandlung für sich mit tragen. Das Wichtigste ist Vertrauen in sich selbst und uns als Ärzte.
Veranstaltungstipp: Der Oktober ist internationaler Brustkrebsmonat. Am 16. Oktober 2024 lädt das Mammazentrum Ostsachsen am Städtischen Klinikum Görlitz ein zu einem Vortrag zum Thema: »Stärkung, Aufklärung und Unterstützung bei Brustkrebsoperationen«. Beginn: 17:30 Uhr
Ort: Konferenzzentrum des Klinikums, Girbigsdorfer Str. 1 – 3, 02828 Görlitz
Alles über unser Mammazentrum findet ihr hier: mammazentrum.klinikum-goerlitz.de
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